Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Ich bin der RockRentner im Harz
und berichte hier von meinen Wanderungen, zufälligen Begegnungen und Entdeckungen im Harz.
Winter- und Frühlingsspaziergang 14. & 21.02.2021 Diese Tage zeichnen sich durch klirrende Kälte sowie reichlich Schnee aus. Auch dieser Sonntag fühlt sich genau so an, nur dass heute, am 14. Februar, ein heller Sonnenball am blauen Himmel erstrahlt. In meinem Körper tut sich etwas und das hat nichts mit dem heiligen Valentinus, sondern einzig und allein mit dem Fixstern über mir zu tun. Es fühlt sich an, als würden sich die alten Zellen wieder richtig aufplustern und mir signalisieren wollen: Hey Alter, du lebst noch! Das hatte ich in all den Wochen der Pandemie schon beinahe vergessen, so sehr läuft unser aller „Leben“ auf Sparflamme. Zwar geizte die Stadt auch im Winterkleid nicht mit ihren Reizen, aber der Gang über aufgeschüttete Schneemassen am Straßenrand und das Stolpern durch die schmalen Pfade im kleinen Park sind nicht so verlockend, wie der weite Blick von den Feldern zum Harz und auf die Hügel des Umlandes. Diesen Anblick würde ich gern auch einmal im Winterkleid sehen wollen. Nachdem der Kaffee am Nachmittag getrunken ist, beschließe ich spontan, mein Heil in der Flucht zu suchen. Raus aus der Stadt, rein in den Winter! Minuten später ist mein Fahrzeug auf halber Strecke zwischen Halberstadt und der Wilhelmshöhe, an der Einfahrt zu einem Feldweg, abgestellt. Hier war ich schon mehrmals, um im Sommer den Aufgang des glühenden Sonneballs über der Stadtsilhouette zu bestaunen. Diesmal will ich einfach nur meiner Nase nach dem verschneiten Feldrain folgen, den schneidenden Wind und die Kälte im Gesicht fühlen. Winter eben, mit all seinen Zutaten, Risiken und Nebenwirkungen. Die Sonne steht schon ziemlich tief über den Bergen, aber noch taucht sie die Ebene davor in glitzerndes Licht, das von der verschneiten Landschaft mannigfaltig reflektiert wird. Es ist ein eisig schöner Anblick, den ich staunend genieße und aufsauge. Das erste Mal richtiger Winter mit ganz viel Schnee, seit es uns hierher verschlagen hat. Ich laufe immer nur wenige Schritte. Dann bleibe ich stehen, schaue in die Weite hinüber zum Harz, in die Sonne und wende mich dann, nun die Sonne im Rücken, der Stadt gegenüber zu. Die streckt ihre Türme - Liebfrauen, Dom und Martini - in den blauen Himmel und blickt von oben auf die verschneiten Dächer der Stadt hinab. Davor strecken sich drei oder vier Kilometer weißes Feld bis zu meinen Füßen. Was für ein gigantisches Panorama, das ich so zum ersten Mal staunend sehe! Immer wieder verharre ich und entdecke die Landschaft bis zum Brocken aus neuen Perspektiven. Kahle Bäume am Feldrand werfen lange Schatten wie dürre Geisterfinger auf die glitzernde Schneedecke, als wollten sie zeigen, schau’ mal dorthin. Majestätisch erhaben wie eine Zauberlandschaft und meine Erinnerungen kramen einen der schönsten Klassiker heimischer Rock-Kultur hervor: „Winter weißer Winter, bau’ mir einen Palast. Bau’ mir einen Palast aus Eis, wie ich ihn aus Mutters Märchen weiß.“ Eine Woche später ist alles anders, außer dass es wieder Sonntag ist. Die Schneehaufen in der Stadt sind geschmolzen, die Vögel zwitschern schon morgens und man spürt die Vorboten des Frühlings in der warmen Luft. Der Temperaturunterschied zum vergangenen Sonntag beträgt locker dreißig Grad und die Natur präsentiert sich beinahe vollständig umgekrempelt. Noch weiß ich nicht wirklich, ob ich dem Schnee nachtrauern oder mich über die Sonne freuen soll. Ich habe wieder Lust, die Stadt zu verlassen. Raus aus der „Enge“ von 100 Quadratmeter Wohnfläche mit Balkon, von dem aus ich den Specht „Klopfkopf“ beim Ernten von Tannenzapfen beobachten konnte. Wieder raus, wo Häuser und Dächer die Sicht nicht versperren und der Himmel sich von Horizont zu Horizont erstreckt. Also lande ich wieder vor der Stadt auf meinem Feldweg, wie vor einer Woche. Der Schnee ist weg, nur in den Vertiefungen des Feldrains dümpeln noch einige Rest im Schatten. Die Sonne hat in den vergangenen Tagen ganze Arbeit geleistet. Die Luft ist warm, statt eisig, und voller frischer Düfte in tausenden Nuancen, die Körper und Geist gierig aufsaugen. Diesmal fällt mir keine passende Liedzeile, sondern der berühmte „Osterspaziergang“ von Altmeister Goethe ein: „Vom Eise befreit sind Strom und Bäche Durch des Frühlings holden, belebenden Blick; Im Tale gründet Hoffnungsglück.“ Der alte Winter hat sich in seiner Schwäche auf die höchsten Bastionen der Harzgipfel verzogen und blinzelt von dort mit schillerndem Weiß. Man könnte es sehen, müsste man nicht der untergehenden Sonne direkt ins Antlitz schauen. Noch schickt sie ihr wärmendes Licht über die Felder, die sich bis zur Stadt erstrecken. Bis sie sich hinter den Harz verzieht, bleibt noch ein wenig Zeit, das Erwachen in der Natur links und rechts des Weges zu entdecken. Wieder schaue ich fasziniert über die Felder bis zum Stadtrand. Mein Blick folgt den Gleisen der Bahnstrecke und bleibt schließlich an der hellen Silhouette, die im warmen Abendlicht leuchtet, kleben. Wenn ich ein Maler wäre, Pinsel und Staffelei dabei hätte, müsste ich jetzt und an dieser Stelle mit dem Malen beginnen. Die Gleise sind überschritten, der Weg führt mich in eine Senke hinab. Die Stadt verschwindet hinter den Stoppeln der Felder, dafür überragen jetzt die „Meding Schanze“ und der „Gläsernen Mönch“ das Panorama, zwischen Halberstadt und Langenstein, vor mir. Dort waren wir auch noch nicht, fällt mir ein, nehme es mir aber vor. Es gibt noch so viele unbekannte Flecken in unmittelbarer Umgebung zu entdecken. Die beiden Bergkuppen gehören dazu, wie auch der Hoppelberg oder das Schachdörfchen Ströbeck, das hinter der anderen Seite der Straße versteckt liegt. Ich möchte den Sonnenuntergang erleben und deshalb kehre ich wieder um. Als der Regionalzug aus Halberstadt heran braust, ist der Bahnübergang erreicht und der Zug grüßt mit einem lauten Pfeifen. Ob jemand da drinnen winkt, kann ich nicht erkennen. Der Zug ist viel zu schnell und die Sonne steht schon tief über den Bergen. Ihr gleißendes Licht blendet, lässt die Bäume am Feldrain wie schwarze kahle Gestalten erscheinen und dann ist sie neben der Silhouette vom Brocken abgetaucht. Plötzlich fehlt Licht und die Landschaft wirkt bleich und fahl. Wieder einmal habe ich einen Sonnenuntergang ganz bewusst erlebt, die Himmelszeremonie in mich aufgesogen und das Glück meiner Anwesenheit auf Erden ausgelebt. Da passt noch einmal Johann Wolfgang, der meinte: Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein! “ und genau so empfinde ich, wenn ich hier draußen, oder im Harz, unterwegs bin.