Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Ich bin der RockRentner im Harz
und berichte hier von meinen Wanderungen, zufälligen Begegnungen und Entdeckungen im Harz.
Stapenberg bei Benzingerode 07.11.2020 Der Harz ist ein Mittelgebirge inmitten des neuen Deutschland und den Brocken nennen wir den „Berg der Deutschen“. Neben diesem Brocken gibt es hier noch viele weitere Berge, kleine und größere. Das sieht man auch, wenn man eine Karte vom Harz genauer studiert und sich eine der vielen Routen zum Wandern, zu einer Stempelstelle oder einfach nur so, aussucht. Dumm nur, dass die Karte meist nicht das Profil des Wanderweges verrät. Die kleine unscheinbare Zahl neben dem Gipfel übersieht man als Wanderer gelegentlich oder auch meistens. Das geht mir auch so und wenn ich das Profil doch sehe, mache ich mir kaum Gedanken darüber. Knapp zwei Kilometer Wanderweg und zweihundert Meter in die Höhe, was ist das schon, denke ich meist! Das kleine Örtchen Benzingerode schmiegt sich zwischen Blankenburg und Wernigerode unscheinbar an die aufsteigenden Hänge im Harz. Wir fahren die Strecke mit dem Auto und spüren die Wellen der Straße als angenehme Bewegungen. Immer wieder ergeben sich neue Einblicke in die Landschaft, die faszinieren. In Benzingerode biegen wir gleich hinter der Kirche links ab. Die Bergstraße ist eher eine Gasse und führt steil nach oben. Dort geht es nach links in eine Senke und dann in eine Siedlung mit vielen schmucken Häuschen. An einer Wiese steigen wir aus, stellen das Fahrzeug ab. Lily muss, wie so oft, ad hoc kacken und ich schaue auf den Berg, der aus dem Waldrand empor steigt. Du heiliges Kanonenrohr! Die ersten Meter sind weiter nichts, als das Eintauchen in den herbstlichen Wald und der Blick zurück nur das Verlassen des geregelten Lebens. Ein Schritt folgt dem nächsten, wir wollen wandern und die herbstliche Natur genießen. Dann gabelt sich der Weg. Links verliert sich die Spur irgendwo im Nichts, rechts führt sie ziemlich steil in den bunten Mischwald hinein. Wir wollen den Stapenberg bezwingen, also müssen wir hinauf, dem Hinweis des Schildes am Waldrand folgen, auf dem etwas von nur knapp zwei Kilometern steht und plötzlich wird mir, im Angesicht der Steigung, klar, was das bedeutet. Wir müssen alle hundert Meter jeweils zehn Meter ersteigen. Ohne Treppe, ohne Geländer, mit Laub unter den Füßen, Steinen auf dem Weg und obendrein auch feuchten Gras hier und da. Links und rechts will mich die Natur mit vielen goldgelben, roten, braunen und grünen Farben beeindrucken, während die Schritte immer kürzer werden. Es ist steil geworden, richtig steil und hinter jeder Biegung erhascht der Blick schon die nächste. Will ich das eigentlich oder habe ich eine andere Option? Nach zehn Minuten pumpt mein Herz wie der Kolben einer nostalgischen Dampfmaschine und meine Lunge presst und saugt mindestens die doppelte Menge frischer Luft, um den Organismus am Leben zu halten. Ich schwitze, was die Poren hergeben und Lily hängt an einer kurzen Leine hinter mir. Im dichten Laub finden ihre kleinen Beine kaum Halt, die Steine tun ihren Pfoten weh und im Gras rutscht sie oft aus. Wir beide geben sicher ein komisches Gespann ab, während Frauchen dreißig Meter hinter uns und viele Meter tiefer, sich einsam und allein weiter quält. Jeder folgt seinem Tempo und Rhythmus und nichts deutet nach zwanzig Minuten darauf hin, dass irgendwo da oben ein Ende sein könnte. Die Option zu wenden ist inzwischen gestrichen, sie würde keinen Sinn mehr ergeben. Wir wollen endlich auf dem Gipfel stehen! Links und rechts des steilen Pfades wuchert dichter Mischwald. Bunt, skurril, verworren und manchmal glaube ich kleine mystische Wesen am Rande zu sehen. Hier irgendwo könnten sie zu Hause sein, die zierlichen Feen und kleinen Wichtel, die sich nur denen zeigen, die Fantasie und Liebe mit in den Wald nehmen. Versteckt im Moos oder hinter einem Baumstumpf könnten sie hocken, uns bemustern und erleben, wie untrainierte Menschen sich mit einem kleinen Berg anlegen. Doch helfen können sie uns nicht. Also winke ich freundlich und gequält lächelnd zum Baumstumpf hinüber, wo ich sie vermute, nehme die Hundelady auf den Arm und steige mit kleinen Schritten weiter, immer weiter. Die Hälfte, so hoffe ich, sollte hinter mir liegen. Langsam lichten sich die Baumwipfel, einige recken sogar kahle nackte Äste und Wipfel in den blauen Himmel. Ist es der Klimawandel oder sind es Schädlinge? Ich weiß es nicht, aber solche Spuren sind überall im Harz zu erkennen. Der Wald leidet, das ist schon lange nicht mehr zu übersehen. Ich quäle mich an umgestürzten Baumriesen und wuchernden Unterholz nach oben, die kleine Lily im Schlepp hinter mir und endlich scheint sich der Wald vor mir zu lichten. Ich kann grelle Sonnenstrahlen sehen, die hinter dem Berg hervorschauen. Dies sind die letzten Schritte zum Gipfel, einem kleinen Plateau, 440 Meter über dem Meeresspiegel. Geschafft, völlig verschwitzt, aber glücklich, endlich mit Lily hier oben zu stehen. Wir sind noch ganz allein. Frauchen kommt ein wenig später und ebenso geschafft, aber sehr glücklich nach uns. Den Gipfel ziert, neben einem kleinen Plateau, der Stempelkasten mit der Nummer 33 sowie eine Sitzkombination für eine Pause. Zuerst bekommt Lily etwas zu trinken, erst danach sind wir dran. Noch schnaufend und in allen Knochen zitternd, genieße ich die wundervolle Aussicht ins Harzvorland. Viele der Bäume hier sind noch nicht so hoch gewachsen und so hat man, über deren Spitzen hinweg, einen grandiosen Blick in die weite Ebene. In diesen Minuten scheint die untergehende Sonne beinahe waagerecht auf den Gipfel. Viele Bäumwipfel sind zur Hälfte in den warmen Sonnenschein getaucht, während ihr unterer Bereich schon im Schatten versinkt. Eine scharfe Grenze von hell und dunkel ziert das Plateau. Über uns hinweg ziehen Kraniche in Keilformation gen Süden und dann erreichen weitere Wanderer ihr Ziel. Wir sind nicht mehr allein. Ein Paar ist sogar mit einem Kinderwagen angekommen, ein einzelner Herr holt sich den Stempel und wandert sogleich weiter. Wir verweilen erst einmal, drücken uns den Stempel vom Stapenberg in die Wanderhefte und schauen uns um. Mir fallen die vielen unterschiedlichen Färbungen der Bäume auf, das Spiel von Schatten und Licht sowie der weite Blick tief in das Harzvorland hinein. Eigentlich könnten wir über den Gipfel weiter wandern und auf anderen Wegen zum Ausgangspunkt gelangen. Wir entscheiden uns aber, Lily und unseren Knochen zuliebe, den kürzeren, wenn auch steileren Weg, auf dem wir kamen, wieder zurück zu nehmen. Diesmal benutze ich einen Wanderstock als Stütze und werde wohl auch langsamer voran kommen, als die anderen. So schön der verschlungene Weg mir auch beim zweiten Mal erscheint, ich muss mich vorsichtig abwärts tasten und auch diesmal überkommt mich das Gefühl, von neugierigen Augen beobachtet zu werden. Im Wald ist es lebendig und nicht alles kann man sofort erkennen. Mir fällt nur die Pracht der Farben auf, die uns Mutter Natur zu dieser Jahreszeit schenkt. Es macht mich auf besondere Weise glücklich, nach einer Wanderung ausgepowert, aber zufrieden, dieses Geschenk der Natur genießen zu können. Dafür bin ich in jeder Sekunde sehr, sehr dankbar. Am Waldrand angekommen, hat uns die andere, die Welt von Corvid19 und der Restriktionen, wieder. Doch nun sind wir wieder abgeklärt genug, damit umzugehen, vieles einfach auszusitzen und über so machen, der seinen Doktortitel bei Facebook oder Twitter von seinen Followern beklickt oder besmilt bekam, die Stirn zu bieten und die Nase zu zeigen. In der realen Welt, außerhalb von Smartphon und PC, kennen Viren keine Unterschiede. Wer Wirt wird, wird es merken, gleich oder später – ganz real.