Ich bin der RockRentner im Harz
und berichte hier von meinen Wanderungen, Begegnungen und Erlebnissen (nicht nur) im Harz.
City rockt anno 1978
19.04.1978
Eigentlich war nicht die Band das durchschlagende Ereignis, sondern ihr Song. Plötzlich wurde „ Am Fenster“ tagtäglich
im Radio gespielt und eine Dorf-Disco, die nicht auch diesen Song, mitgeschnitten von DT64 für das Tonbandgerät - an
eine Platte war noch lange nicht zu denken - die konnte gleich wieder einpacken. Der Song war schnell Kult und die
Band hatte urplötzlich in der ganzen Republik eine riesige Fangemeinde! Jedermann, gleich welchen Alters, wiegte sich
zu den exotischen Klängen, die so gar nicht typisch DDR waren. So hat es bei mir auch angefangen, denn ich hatte die
Bandaufnahme auf meinem „Qualiton“ in mono gespeichert und bin über die Dorfbühnen mit meiner Disco gezogen.
Das muss ca. 1973/74 gewesen sein. Den „Laden“ haben Manne und ich damals übrigens „College Disco“ genannt. Der
Kenner weiß jetzt sicher auch warum.
Schon so viele Jahre gibt es CITY schon? Ja natürlich und das lustige daran, die Musiker sind alle fast genau so alt wie
ich, denn ich habe jene Jahre hautnah, lebendig und bewusst miterlebt. Dieser eine Song und diese Stimme haben mich
seither begleitet, waren ein Teil des Soundtracks meines Lebens. Da hatte jemand in meiner Seele gekramt und meine
Gefühle ausgesprochen sowie das alles mit den Klängen einer Violine, meinem Instrument, unterlegt. Das war
gleichzeitig auch der Moment, da ich mich zum ersten Mal geärgert habe, nicht weiter fleißig Violine geübt zu haben.
Egal ob nun mit dem „Fenster“ oder später mit „Wand an Wand“ oder gar mit meiner Lieblingszeile „is’ egal, da sind
Löcher drin und so bleibe ich wer ich bin“ – außer CITY hatten so ein Gefühl in mir nur wenige auszulösen vermocht.
Allen voran die Klaus Renft Combo und CÄSAR. Damals erwachten in mir Träume, solche Musik einmal auf die Bühne zu
bringen. Nicht als Musiker, dafür war es längst zu spät, sondern als Organisator solcher Veranstaltungen.
Ab 1970 war ich einer von denen, die „in der Kultur“ ihre Berufung suchten. Ich sah mich als einer zwischen
Kulturpolitik und selbst etwas organisieren wollen. Etwas Eigenes, etwas mit eigenem Profil und etwas, wo ich mich
selbst wiederfinden würde. So entstand die Idee der ROCK-MIX-Konzerte in Elsterwerda. Für mich war es daher logisch,
dass ich dann selbst Konzerte organisieren musste. Dieses besondere Gefühl des Lebens und Erlebens hinter und auf
der Bühne hat mich schon immer fasziniert. Für die Konzertreihe ROCK-MIX wollte ich deshalb unbedingt diese Band auf
der Bühne zu haben. Es sollte etwas ganz besonderes werden, etwas einmaliges, von dem alle sprechen würden – und
genau das wurde es auch. In jeder Hinsicht und doch ganz anders!
Zunächst mussten im Saal ca. 500 Stühle schön in Reih’ und Glied gestellt werden. Das war wichtig, sonst hätte ich
keine Veranstaltungsgenehmigung beim, VPKA erhalten, von einigen anderen netten Herren ganz zu schweigen. Das
sah zwar schön klar gegliedert und ordentlich aus, war aber eigentlich völlig unpraktisch, nahm viel Platz weg und im
Falle eines Falles wäre das Chaos perfekt gewesen. Dann kamen irgendwann im Laufe des Nachmittags die Techniker,
also die mit dem LKW und den großen Boxen (PA) sowie den vielen Kabeltrommeln. Das Durcheinander auf dem LKW
wurde also schön gleichmäßig auf der Bühne und dann im Saal verteilt bis zu dem Moment, wo zum ersten Mal der
Strom fließen sollte.
Ich bin damals an viele Dinge ziemlich naiv und unbefangen heran gegangen. An diesem Apriltag, es war der
19.4.1978, bekam ich das zum ersten Mal zu spüren. Man brauchte Kraftstrom und das Netz im Gesellschaftshaus
Elsterwerda war dafür nicht abgesichert. Ich kannte zum Glück den Elektriker der Stadt und Gerhard folgte meinem
Notruf ziemlich prompt. Was genau dann passiert ist, kann ich heute nicht mehr sagen, ich weiß nur noch, dass
irgendwann die Scheinwerfer und die Augen von Joro strahlten. Die von Traudl auch und wer die noch kennt, der weiß,
wie wichtig das war! Die war nämlich inzwischen eingetroffen und hatte mir gewichtig erklärt, dass so was wie
Kraftstrom für eine Band unerlässlich sei. Für eine Spitzenband wie CITY natürlich erst recht. Traudl war zunächst etwas
sauer, was man ihr auch ansah, aber mit dem Leuchten der Spots wurde sie wieder umgänglicher. Das war eine
einschneidende Erfahrung für mich. Doch es kam noch schlimmer!
Aber es kam noch schlimmer:
Plötzlich stand Klaus vor mir mit der Nachricht: „Vom Schlagzeug fehlen ein paar Teile. Wir fahren mal fix nach Berlin,
um sie zu holen!“ Meine Freunde haben mich damals beruhigt und die Massen im Saal auch. Dem ABV haben sie etwas
von einem Strom- und Sicherheitsproblem erzählt. Sicher kann sich noch jemand an den Zustand der damaligen
Autobahnen erinnern. Die Band fuhr (in meiner Erinnerung) einen Lada oder Shiguli. Als man Richtung Berlin startete,
war es eine Stunde vor Konzertbeginn, also 17.00 Uhr, und der Saal proppevoll – na Klasse. Wir haben’s einfach
niemandem gesagt und irgendwann begonnen, das Publikum mit besagten Hinweisen auf technische Probleme
hinzuhalten. Die wollten alle nur „Am Fenster“ hören und allein die Aussicht darauf, hat sie wohl alle brav sein lassen.
Keine Ahnung, warum das funktioniert hat, aber es hat.
CITY hat irgendwann nach 21.00 Uhr ein furioses Rock-Konzert bis in die Nacht hinein gespielt. Wir erlebten die CITY-
Hits jener Tage live und in praller ungeschliffener Schönheit, wie den „King vom Prenzlauer Berg“ und den „Meister aller
Klassen“. Live spielte man diese Songs meist etwas länger, so wie es damals üblich war und reicherte sie mit
instrumentalen Solo-Ausflügen an. KLAUS SELMKE, der damals noch nicht bei jedem Konzert Geburtstag hatte, saß auf
einem Podest, aber zu ebener Erde hinter seinem Schlagzeug. Für ein Solo verließ er die Schießbude, schnallte sich eine
Trommel um die Hüfte und lief damit trommelnder Weise über die Bühne, die ersten Reihen zu Begeisterungsstürmen
hinreißend.
Später Höhepunkt des Konzerts war dann endlich „Am Fenster“, das damals noch in einer überlangen Variante über die
Bühne ging. Wir erlebten den Teufelsgeiger, mit Violine und dunkler Lockenpracht, wie er das Publikum mit seinem Spiel
begeisterte. Die Schwierigkeiten der Stunden davor waren da längst vergeben und vergessen.
Mir wird diese Konzertnacht für immer in Erinnerung bleiben: CITY fuhr Schlagzeugteile zwischen der Kleinstadt
Elsterwerda und Berlin „spazieren“ und wir haben derweil 500 Leute mit vagen technischen Problemen vertröstet. Auch
der freundliche ABV vor der Tür hatte es zur Kenntnis genommen. Das Konzert begann mit fast vier Stunden
Verspätung und keiner hat sich aufgeregt. Heute ein Ding der Unmöglichkeiten, oder? Bei einem späteren Treffen,
schon nach der Wende, mit den Musikern von CITY in Strehla habe ich Joro an diese Episode erinnert, worauf der mir
noch weitere solche Begebenheiten vom Vergessen erzählte und ich dachte viele Jahre lang, die Sache damals wäre ein
einmaliges und „unerhörtes Erlebnis“ gewesen. War es nicht, für mich aber schon! Unvergesslich war das Konzert
trotzdem, vielleicht gerade auch deshalb.