Beim 18. Seifenkistenrennen in Stötterlingen 05.06.2017
Nach Stötterlingen fährt man nicht, Stötterlingen muss man sich mühsam erobern. Meter für Meter in unbekanntes
Terrain hinein, hinter Feldern und Wiesen und Feldern und Hügeln zwischen Harz und Huy. Gleich dahinter beginnt der
wilde Westen und glaubt mir, dort sieht es auch nicht anders aus. Nur baut man dort Autos für das Volk, also
Volksautos, während man in Stötterlingen noch Autos aus Holz bauen kann. Der Volksmund sagt Seifenkisten dazu und
mit denen jagen die Einwohner über ihre Dorfstrasse den Berg hinunter. Die „mutigen Männer in ihren rasenden Kisten“
quasi. In Stötterlingen lebt man diesen alten Brauch noch aus, man pflegt und feiert ihn seit nunmehr achtzehn Jahren.
Ich wusste davon nichts und deshalb hat man mich dorthin eingeladen. Mit Sonne im Rücken mache ich mich auf den
weg, mit Regen im Gesicht steige ich bei den Stötterlingen aus.
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Heute ist Seifenkistenrennen in Stötterlingen und es regnet. Alles ist nass. Die Bäume, die Häuser, die Dorfstrasse, mein
Haar und das Fell von Lily. Es regnet so sehr, dass einer wie ich glaubt, das Rennen könne natürlich nicht stattfinden
und während ich das noch denke, Lily warm verpackt in meinem Arm ruht, meldet eine Stötterlinger
Lautsprecherstimme, dass jetzt die ersten „Rennwagen“ auf der „Piste“ sind. Also geht der ganze Pulk, bei strömendem
Regen, zur steilen Dorfstrasse am Berg, die jetzt die „Piste“ darstellt und plötzlich saust auch schon das erste Gefährt an
mir vorüber. Im Schlepptau eine riesige Regentropfenfontäne aufwirbelnd. Alles geht so schnell, dass älter gewordene
Halswirbel große Schwierigkeiten beim Hinterhergucken haben. Deshalb begebe ich mich auf halbe Höhe, wo die Piste
einen leichten Bogen macht und sich die „Boxengasse“ befindet, um alles besser einsehen zu können. In den nächsten
zwei Stunden werde ich hier stehen, wie ein Hanghuhn am Berg, und das spannende Rennen der Stötterlinge in den
Seifenkisten beobachten.
Inzwischen haben sich die dicken Regenwolken verzogen. Alle paar Minuten jagt eines der bunten und in Eigenregie
gebauten Fahrzeuge, die Dorfstrassenpiste hinunter, vorbei an der Boxengasse sowie an der „Tankstelle“ mit der
Reporterkabine gegenüber, dem Ziel unten im Dorf entgegen. An jener Stelle, wo tollkühne Piloten in ihren gigantischen
Seifenkisten den Top-Speed erreichen, hat der Veranstalter, die Freiwillige Feuerwehr Stötterlingen, die Streckenführung
mit einem Holztor versehen und die Piste mit Strohballen verengt. Hier wird sich zeigen, wer sein Gefährt gut lenken
kann oder durch Betätigen der Bremse den möglichen Sieg verspielt, denn: Wer bremst, verliert!
Der erste Durchgang ist ein kompletter Regenlauf, denn der Himmel zeigt kein Erbarmen. Weder mit den Fahrern, noch
mit uns Zuschauern. Doch Stötterlinge sind hart im Nehmen und erst dann, wenn der letzte Kistenpilot seine Kiste unten
an der Kirche abgestellt hat, beginnt das große Biertrinken. Bis dahin sind drei Durchgänge zu absolvieren, ganz gleich,
ob mit Regenreifen oder auf Vollgummi. Was in dieser Dorfgemeinschaft der Stötterlinge zählt, ist das Dabeisein und
Mitmachen. Im Grunde ist das Wetter egal, denn dieser Nachmittag erweist sich als ein Riesenspaß sowohl auf Rädern,
als auch auf der abschüssigen Piste.
Ganz oben, wo die Dorfstraße den Ort verlässt, wird von einer Rampe gestartet. Im oberen Teil nimmt man Fahrt auf
und wenn sie durch das Holztor und die schmale Boxengasse rasen, haben alle Piloten bereits einen Affenzahn drauf.
Doch es sind gar nicht die Geschwindigkeiten, die mich beeindrucken, es sind die Fahrzeuge selbst und der
Ideenreichtum, der sich zeigt. Da kommt eine „Feuerwehrkiste“ mit viel Tatü-Tata den Berg herunter, danach wagt ein
Teenager im „Blauen Wunder“ zum ersten Mal die wilde Fahrt und schon wenige Minuten später brettert der Senior des
Teilnehmerfeldes mit über 70 Lenzen in einer „alten Schachtel“ den Hang herunter. Der Mann steuert schon seit dem
ersten Rennen vor achtzehn Jahren seinen „rasenden Roland“ und hat offensichtlich immer noch einen Heidenspaß an
diesem Gaudi.
Der Schnellste scheint ein rot-weißer zigarrenförmiger Flitzer zu sein, der Tor und Gasse sehr elegant passiert. Die
Männer in der „Boxengasse“ begeistern sich am meisten für das „rollenden Bier-Fass“, zu dem eigentlich noch ein Fass-
Anhänger gehört. Jedes Mal, wenn das Fass anrollt, scheinen mir Jubel und Begeisterung besonders groß zu sein. Zu
den Teilnehmern gehören noch die „rote Bergziege“, die mich eher an ein Dreirad erinnert, und der „gelbe
Straßenschreck“, bei dem vielleicht der Postbote als Pate zur Verfügung stand. Mich persönlich begeistert ein Fahrzeug,
bei dem ganz sicher die „göttliche“ Biene Maja als Vorbild diente. Das Teil erinnert an eine Hummel und die Pilotin selbst
ist die „Maja“ in Person und Kostüm. Später wird sie die Urkunde für „originell statt schnell“ überreicht bekommen. Zu
recht, wie ich finde.
Inzwischen hat es aufgehört zu regnen und die wilde Hatz ins Dorf hinunter dauert auch schon mehr als zwei Stunden.
Die „mutigen Piloten in ihren rasenden Kisten“ haben drei Läufe absolviert und uns Zuschauern am Rande der „Piste“
eine Menge Spaß bereitet. Der letzte Fahrer, mit zwei Kindern als Beifahrer, ist an mir vorüber ins Ziel gefahren und hat
sein fantasievolles Gefährt in einer Seitenstraße neben den anderen abgestellt. Ich stehe davor und kann sie mir alle
aus der Nähe und ganz in Ruhe betrachten. Wie schön, dass es so etwas noch gibt und dass die Tradition manchmal
noch den PC und das Smartphone alt aussehen lassen kann. Wie schön, wenn so etwas in Gemeinschaft geschieht, die
Dorfgemeinschaft am Leben hält und außerdem noch einige Zaungäste aus der Ferne anlocken kann. Die Stötterlinge,
im kleinen Tal zwischen den Hügeln, scheinen ein ganz besonderes Volk zu sein, bei dem Gastfreundschaft groß
geschrieben wird.
In einem der Zelte genieße ich meine Tasse Kaffee und ein feines Stück Schokoladentorte mit Sahne. Scheiß auf
Gewicht, heute ist Genuss dran! Als ich mich verabschiede, habe ich einige Bekannte mehr und das Gefühl, etwas
Seltenes erlebt zu haben. Seifenkisten sind ein „Relikt“ meiner Kinderjahre und genau deshalb auch eine der schönsten
Erinnerungen an das „Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können“. Schön, wen sie manchmal wieder
lebendig und fühlbar werden. Der Feuerwehr von Stötterlingen ein großes Dankeschön und wenn die Stötterlinge mich
rufen, will ich gern wieder in das kleine Dorf fahren. Dann aber zu Freunden.
Ich bin der RockRentner im Harz
und berichte hier von meinen Wanderungen, Begegnungen und Erlebnissen (nicht nur) im Harz.