Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Ich bin der RockRentner im Harz
und berichte hier von meinen Wanderungen, zufälligen Begegnungen und Entdeckungen im Harz.
Großer Thekenberg mit Winnetou-Felsen 23.04.2022 Es ist Wochenende, die Sonne scheint und der Rentner in mir hat gerade keine Lust, in der Wohnung zu versauern. Also schnappe ich mir meine Fotoknipse, den Wanderstab und suche die Autoschlüssel. Der Balkon ist seit Minuten zu klein und da draußen wartet eine Unmenge Natur auf mich. Ich hab’ da so eine Idee, die schon lange darauf wartet, umgesetzt zu werden. Vor der Stadt gibt es einen Berg, den wir in den ersten Wochen unseres Ankommens besteigen wollten, aber nicht konnten. Lily hatte sich im Heidekraut das Fell mit Dornen zerzaust und bei mir streikte an jenem Tag die Hüfte, so dass wir kurz vor dem Ziel einen Rückzieher machten. Nun ist meine kleine Lily nicht mehr bei mir und ich bin ein „Rentner allein zu Haus“. Eine gute Gelegenheit, den Winnetou-Felsen auf dem Thekenberg zu besteigen. Ich verlasse die Stadt auf der Piste in Richtung Quedlinburg und biege vor dem „Yellow House“, einem besonderen Ort der Entspannung, nach Westerhausen ab. In einer Doppelkurve vor dem Waldgebiet findet sich ein schattiges Plätzchen, das ich mir zum Ausgangsort meiner Solo-Tour ausgewählt habe. Nach wenigen Schritten am Straßenrand, entdecke ich den Weg im Dickicht. Hier geht es in den Wald hinein und ich habe keine Ahnung, was mich hinter dem Gestrüpp erwarten wird. Die Faszination von solchen Waldwegen besteht darin, dass man sich von jetzt auf gleich mitten in der unberührten Natur findet. Niemand räumt auf, man läuft auf Waldboden statt auf Schotterwegen und nur selten begegnet man einem anderen Menschen. Nur die Absenker von wild wuchernden Pflanzen erobern sich den Waldboden, auf dem man laufen möchte. Manchmal wird man davon, wie in einer Schlinge, gefangen. Genau das passiert mir auch. Hätte ich meinen langen Stab nicht dabei, bliebe mir die Bekanntschaft mit dem Waldboden wohl nicht erspart. Der lange Naturstab ist mir inzwischen zum wichtigsten Hilfsmittel geworden. Links und rechts erheben sich bewaldete Hänge und ich fühle mich fast wie Winnetou. Mein Wanderstab wird für kurze Zeit zur Silberbüchse und irgendwo im Gebüsch glaube ich zwei Augen entdeckt zu haben: „Rinderich?“ Keiner antwortet, ich bin allein und stampfe auf einem Trampelpfad hinüber zum Thekenberg. Hinter einer Biegung erblicke ich eine Lichtung und dort erhebt sich ein steiler Hang ins Himmelsblau. Ganz oben wird er von Büschen begrenzt. Dort hinauf muss ich, wenn ich vom Winnetou-Felsen über die Felder blicken möchte. Mit dem Stab in der Hand suche ich mir Halt im trockenen Gras und ziehe mich Schritt für Schritt hinauf. Was für eine verdammte Quälerei im prallen Sonnenschein! Zum Glück gibt es niemanden, der dem alten Mann bei dieser Ochsentour zuschauen könnte. Der Schweiß dringt aus allen Poren und als ich glaube, schon oben zu sein, offenbart sich mir nur, dass ich inmitten von Heidekraut stehe, durch das sich ein schmaler Trampelpfad weiter und allmählich über die nächsten Hügelchen zieht. Auf der linken Seite der eben erst bezwungene Abhang, rechts dichtes Gestrüpp mit kleinwüchsigen Bäumen und vor mir ein Pfad im Heidekraut. Da muss ich jetzt durch, zurück ist schon lange keine Option mehr und hatte ich ohnehin nie im Hinterkopf. Sich quälen will geübt sein, möchte ich manchmal der Smartphon- Generation zurufen, aber ob die auch verstehen, was ich meine?? Eine halbe Stunde bin ich jetzt vielleicht unterwegs, bin aber durchgeschwitzt, als hätte ich den Harz überquert. Das müssen die Nachwirkungen von Corona sein: Impfungen, Infektion, Quarantäne und zu wenig Bewegung plus ein neues Hüftgelenk. Und jetzt auch noch der Wladimir. Irgendwie muss das doch zu Buche schlagen! Dabei ist mein Lebensalter längst ausgeblendet, was soll ich mit dieser Zahl? Ich will da vorn auf den Felsen und dafür muss ich diesen ganzen Wachstumsmüll ausblenden, mich diesen letzten kleinen Anstieg hinauf quälen, der Sonne entgegen. Noch einige Schritte, dann habe ich es geschafft. Verschwitzt, aber glücklich fühle ich mich wie Winnetou im Film, der oben auf dem Felsen steht und die Prärie hinaus späht. Erst einmal setze ich mich auf so eine Felsenkante. Von denen gibt es hier einige. Den Wanderstab lege ich zur Seite, die Weste auch und dann lasse ich den Wind durch die Stoffe wehen. Das tut gut. Mein Blick schweift über die grünenden Felder zu meinen Füßen bis hinüber zum Wald, wo sich die Kamelfelsen von Westerhausen und Börnecke über die Baumwipfel erheben. Weiter dahinter zieht sich die Silhouette vom Harz am Horizont entlang. Etwas rechts davon, neben der Spitze vom Hoppelberg bei Langenstein, hebt sich das Plateau vom Brocken aus dem Dunst hervor. Was für ein majestätisch schöner Anblick, den ich, etwas erschöpft, nun ein paar Minuten schweigend und ganz allein genieße. Dieses ganze Panorama gehört mir ganz allein, zumindest im Augenblick, alles meins und eine leise Ahnung flüstert mir, warum dieser Ort gern Winnetou-Felsen genannt wird. Allerdings muss man dafür ganz allein hier, in der stillen Natur, sein. Hier leben zu dürfen, empfinde ich inzwischen als Privileg und mit über 70 noch durch dieses Gelände steigen zu können, als ein Geschenk. Ich sitze rund 50 Meter über der mich umgebenden Landschaft und weiß hinter mir eine empfindliche, heideartige und bedrohte Flora, durch die ich gerade erst lief. Dieser Berg ist touristisch (noch) nicht erschlossen und ich bin mir nicht sicher, ob das nicht einfach so bleiben sollte. Der Vegetation zuliebe. Die wenigen, die sich hierher verirren, haben zumeist auch Respekt vor der Natur. So wie Winnetou, die Indianer und alle indigenen Völker übrigens auch. Immer mehr Wachstum ist in der Natur nicht vorgesehen! Ich erhebe mich, möchte vom kleinen Plateau noch etwas mehre sehen. Mein Blick schweift jetzt in die andere Richtung, nach Norden. Ich sehe die Türme von Halberstadt hinter den Klusbergen und dahinter den Huy. Sogar ein Blick über die Ebene bis nach Magdeburg ist heute möglich. Ich erkenne Traktoren auf einigen Feldern und Autos auf Straßen, die das Grün wie weiße Bänder durchschneiden. Der Fels zu meinen Füßen wirkt wie eine Plattform, von der man abspringen könnte. Ein paar Bäume haben ihre Wurzeln im Fels verankert und tragen schon zartes Grün und frische Knospen. Es fällt mir wirklich schwer, mich von diesen so verschiedenen Perspektiven loszureißen, mich vom Wunder Natur zu trennen und wieder abzusteigen. Manchmal möchte ich so einen Moment einpacken und einfach mit nach Hause nehmen. Darüber schreiben und Bildchen Knipsen ist so etwas Ähnliches. Der Rückweg bringt mich zwar nicht mehr zum schwitzen, dafür muss ich jetzt aufpassen, nicht auf dem Geröll auszurutschen. Manchmal taste ich mich regelrecht mit den Füßen abwärts. Rechts von mir sehe ich einen schmalen Pfad, der über den mit Grasbüscheln bewachsenen Hang zum Waldrand da unten führt. Langsam, vorsichtig und mit dem Stock Halt suchend, taste ich mich abwärts. Schritt für Schritt, immer weiter und dann passe ich eine Sekunde nicht auf auf dem Grashang liegend, hat man eine völlig neue Perspektive auf die Vegetation. Zum Glück nichts passiert, hätte dennoch dumm ausgehen können. Doch dann bin ich unten, kann durchatmen und glücklich weiter zum Ausgangsort zurück wandern. Der Rückweg verläuft unterhalb jener Hügel, die wir damals gemeinsam mit Lily erkundet hatten. Die Erinnerungen sind immer noch frisch und die kleine Hundelady fehlt. Diesmal laufe ich hier ganz allein entlang, kann meinen Gedanken nachhängen und kleine Details am Waldesrand entdecken. Die Natur scheint in diesen Tagen förmlich aus allen Nähten zu platzen und ein neues, buntes Kleid anzulegen. Ich bestaune diese Pracht, die verschiedenen Formen und Farben, die ringsum zu entdecken sind. In den nächsten Tagen wird es sicher noch mehrere Gelegenheiten geben, in den Frühling, in die Natur einzutauchen. Dann schon wieder mit frischen Kräften und natürlich meinem Wanderstab in der Hand.