Ich bin der RockRentner im Harz
und berichte hier von meinen Wanderungen, Begegnungen und Erlebnissen (nicht nur) im Harz.
Großvater am Großvaterfelsen
(auf der Teufelsmauer)
24.03.2022
In Blankenburg gibt es ein Schloss, den Ziegenkopf mit einem Turm darauf, die Burgruine Luisenburg (
HIER
) und auf
der anderen Seite die Burg und Felsenfestung Regenstein (
HIER
). Von deren Höhen kann man auf die Stadt blicken
und sich an der wundervollen Aussicht auf die Berge oder das Harzvorland erfreuen. Davon kann ich inzwischen aus
eigenem Erleben und selbst Besteigen erzählen. Eine Eroberung fehlt mir allerdings noch, um ganz glücklich zu sein.
Hier in Blankenburg nimmt nämlich der westliche Teil der berühmten Teufelsmauer, die sich über zwanzig Kilometer bis
Timmenrode, Weddersleben sowie nach Rieder und Ballenstedt erstreckt, ihren Anfang. Sie beginnt hier mit dem
Großmutter- und dem Großvaterfelsen, zieht sich bis Weddersleben mit dem Königstein (
HIER
), den ich auch schon
„erstürmt“ habe, und dann bis zu den Gegensteinen bei Ballenstedt. Man kann die Felsformationen der Teufelsmauer
von einem Ende bis zum anderen durchgehend per pedes erwandern und erkunden. Mein Ansinnen ist es heute aber
nur, endlich dem Großvaterfelsen einen Besuch abzustatten, ihn zu besteigen, die schöne Aussicht zu bewundern sowie
den Stempel als Beleg einzusammeln.
Am Parkplatz gegenüber der Barocken Gärtner unterhalb vom Schloss darf der graue Straßenesel auf uns warten. Von
hier bis zum Einstieg in den Großvaterweg ist es nur ein fünf Minuten Fußweg, aber gleich bergan. Sie Sonne scheint,
mein Schritt ist schwer, als wäre keine Schmiere mehr zwischen den Gelenken. Egal, ich will zum Großvater!
Eine unscheinbare Nebenstraße zweigt hinter dem Schlosshotel nach links von der Hauptstraße ab und führt direkt in
den Hang hinein: der Großvaterweg. Der führt schnurgerade und bergan zur Gaststätte namens „Großvater“, unterhalb
des Felsen. Wir biegen aber schon nach wenigen Schritten links in den steil ansteigenden Asphaltweg, der sich in
Serpentinen hinauf zur Teufelsmauer windet. Ganz schön heftig, geht es mir durch den Kopf. Schnaufend steige ich
weiter, bis ich am Ende des Asphaltweges vor der nächsten Überraschung stehe. Ich muss nun eine kurze steile Treppe
aus Holzbohlen bis zum Kamm besteigen, wo die Gesteinsformationen schon zu sehen sind. Der steile Anstieg, von der
Straße bis hier hinauf, hat nicht einmal zehn Minuten gedauert, aber ich muss trotzdem verschnaufen. Eine Bank auf
dem Hügel scheint wie geschaffen dafür. Uff!
Hinter der oberen Häuserreihe, zwischen Hang und Gartenzäunen, schlängelt sich ein schmaler Stieg am Grat entlang.
Man folgt diesem Kamm-Stieg, stets in Sichtweite der Gesteinsformationen, bis man wieder auf den nächsten Pfad
„umsteigen“ muss. So geht es über Stock, Stein und Wurzeln, auf dem holprigen schmalen Trampelpfad entlang. Dann
lichten sich die Bäume und plötzlich stehe ich vor dem Großmutterfelsen, der sich als ein riesiger Haufen Gestein
entpuppt. Diese Felsbrocken scheinen von einem Riesen wie gigantische Bausteine dorthin geschüttet zu sein.
Zumindest wirkt die „Großmutter“ so auf mich.
Doch der Pfad schlängelt sich weiter und endlich ist ein letztes Haus zu sehen ist. Am Zaun ein Schild: Gaststätte
Großvater. Hier kann man von oben den Biergarten betreten, den man von unten, über den Großvaterweg, auch
erreichen könnte. Die kleine Wanderung unterhalb der Teufelsmauer und entlang der Zäune war allerdings viel
spannender, denke ich mir und dann erblicke ich vor mir den Hang. Dort ragt ein großer Klumpen Felsgestein empor –
der Großvaterfelsen. Oh, da will ich also hoch klettern!?
Ein riesiger, steil aufragender Haufen aus Felsgestein reckt sich vor meinen Augen in den azurblauen Himmel. Ganz
oben sehe ich so etwas wie eine Wetterfahne und daneben die Kontur eines Mannes, der diesen Gipfel schon erstürmt
hat. Dort hinauf will ich auch! Doch erst einmal muss ich den Hang, über Wurzeln und Geröll, ersteigen. Die
Frühlingssonne knallt mir auf den Pelz, ich schwitze. Dabei bin ich noch nicht einmal da oben, wo ich gern hin möchte.
Dort klettern zwei Personen durch das Gestein und abgebrochene Geröll abwärts. Also steige ich auch über die kleinen
und großen Steine, bis direkt unter den „Großvater“, dessen Wand in den Himmel ragt. Das Geröll zu meinen Füßen ist
im Laufe der Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte von genau diesem Großvater abgebrochen.
Über mir reckt sich ein zehn Meter hohes Gesteinsmassiv, eine übereinander gestapelte Schichtrippe, die sich 319 Meter
über den Meeresspiegel erhebt. Davon sieht man hier nichts, mich imponiert diese steil aufragende Formation trotzdem.
Der Großvaterfelsen ist nämlich die höchste Einzelerhebung der ganzen Teufelsmauer. Man vermutet außerdem, dass
diese eine vorchristliche Kult- und Opferstätte war, um dem germanischen Gottvater Wotan zu huldigen. Wenn dieser
Ort einstmals dicht bewaldet war, kann ich mir das gut vorstellen. Doch jetzt will ich da hinauf, den Ausblick genießen,
vielleicht auch Wotan entdecken – wer weiß?
Meine Jacke lege ich über einen der großen Brocken, meinen Wanderstab lehne ich daneben an. Den könne ich nicht
gebrauchen, meint ein Mann, der gerade von oben kommt. Also zwänge ich mich in die erste enge Spalte und ersteige
über ein paar ausgetretene Kuhlen im Stein die nächste Ebene am Fels. Doch jetzt wird es eng. Ich suche mir Halt am
Gestein und hieve mich noch ein Stück höher. Das künstliche Gelenk in der Hüfte gelangt dabei das erste Mal an seine
derzeitigen Grenzen, aber es geht weiter – noch. Rechts im Gestein kann ich einen Griff fassen, links ein Geländer.
Daran ziehe ich mich über die nächsten Hindernisse und bis zur nächsten Ebene. Meine Hüfte agiert am Anschlag, der
Tritt unsicher. Ich stehe am äußersten Rand, rechts der Fels, links nur durch eine Stange und viel Luft vom Abgrund
getrennt. Die knappe Hälfte liegt hinter, die größere und steilere vor mir. Nach oben sehe ich in eine lange Spalte, an
deren äußeren Rand so etwas wie Tretmulden zu erkennen sind. Eine eiserne Stange als Begrenzung zum Abgrund.
Beim nächsten Schritt über einen Brocken in diese Spalte streikt meine Hüfte, mehr scheint (noch) nicht möglich zu
sein. Beim Blick auf das ansteigende Teilstück vor mir ahne ich, dass ich da hindurch auch wieder abwärts müsste. Wie
das gehen soll – keine Ahnung. In diesem Augenblick siegt meine Vernunft über meine Lust, dort hinauf zu wollen.
Vernünftiger Weise entschließe ich mich, solange ich es noch kann, wieder abzusteigen. Also genieße ich den Ausblick
von halber Höhe hinüber zum Schloss Blankenburg sowie auf die Stadt und lasse mich als Nachweis, es bis hierher
geschafft zu haben, noch ablichten. Glücklich bin ich trotzdem, der Weg war das Ziel.
Vorsichtig, wenn auch ziemlich ungelenk, gelingt es mir wieder zum Wanderstab zwischen den Steinen zu gelangen.
Beim Blick nach oben grüßt mich die Wetterfahne von 1998 und ein leeres Fels-Plateau. Über den Kammweg kommen
schon die nächsten Wanderer aus Richtung des Hamburger Wappens. Das jugendliche Paar macht sich sogleich an den
Aufstieg und schon wenige Augenblicke später kann ich sie da oben sehen.
Jede Jahreszeit des Lebens hat ihre eigenen Privilegien, denke ich, denn heute entdecke und genieße ich eher die
filigranen Schönheiten der Natur, statt einen schnellen Triumph oder den flüchtigen Sieg, einschließlich jenen auf den
Gipfeln. Den Wert der Höhen lernt man ohnehin erst dann zu schätzen, wenn man auch die Niederungen erlebt hat,
weiß ich aus eigener Erfahrung. Ich liebe es inzwischen, wenn die Begeisterung nachhaltig in mir wirkt. Das empfinde
ich auch in diesem Moment. Noch den Stempel Nummer 76 einsammeln und noch einmal nach oben dem „Großvater“
zuwinken. Das nächste Abenteuer habe ich schon längst im Hinterkopf und auch da lockt mich viel mehr der Weg
dorthin.
Der schmale Stieg abwärts liegt jetzt wieder vor mir. Beinahe beschwingt führen mich meine Füße an den Zäunen
entlang, der Bohlentreppe am Hang zu. Zwischen den Häusern tut sich der Blick hinab in das Tal und auf die gegenüber
liegenden Berghänge auf. Was für eine schöne Gegend und wie viele kleine Wunder man entdecken kann, wenn man
sich Zeit lässt. Den Großvaterfelsen habe ich heute nicht „bezwingen“ können, meinen inneren Schweinehund aber
schon. Ist doch ein schöner Sieg oder?