Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Ich bin der RockRentner im Harz
und berichte hier von meinen Wanderungen, zufälligen Begegnungen und Entdeckungen im Harz.
1. Mai 2020 - Friedwald & Menhir 01. 05.2020 Heute ist der erste Tag im Monat Mai. Schon in meinen Kindertagen trugen die Birken am 1. Mai ein zartes Grün. Damit schmückte man Pferd und Wagen, um dann zur Marschmusik durch das Dorf zu fahren. Später, in der Stadt, fuhren Traktoren mit Anhänger, liefen Marschblöcke mit Transparenten an einer Tribüne vorüber. Die dort oben standen, übten sich im Winken, die vorüber „demonstrierten“, sehnten sich nach Bratwurst und Bier. Immer am 1. Mai hatte meine Mutter Geburtstag, während der Herr Papa die „Demonstrierenden“ mittels Mikrofon und Lautsprecher eine Etage über der Hauptstraße begrüßen „durfte“. Wenn er von der ersten Hälfte des Kampftages nach Hause kam, forderte ihn das Bier zu einem ausgiebigen Mittagsschlaf. Ich selbst fand den Geburtstag meiner Mutter stets wichtiger als die Tribüne, denn bei Muttern gab’ es neben dem Bier auch ein Schnäpschen und dann ein gutes Essen, manchmal auch Bratwurst. Jedenfalls war der Geburtstag meiner Mutter das schönere Ereignis und ab den frühen 1970er Jahren war „1st Of May“ von den Bee Gees die bevorzugte Melodie für diesen Tag. Das alles liegt nun schon Jahrzehnte in der Vergangenheit. Den 1. Mai aber gibt es immer noch. Nur die Feierlichkeiten, samt Bier und Bratwurst, sind dem „Tag der Arbeit“ zum Opfer gefallen, was viele, verständlicherweise, sehr schade finden und obwohl es noch viele Spielmannszüge und Musikvereine gibt, traut sich keiner von denen am 1. Mai morgens die Stadt mit seinen Klängen zu erwecken. Also gestaltet sich jeder seine Maifeier wie es ihm beliebt und sein persönliches Freiheitsempfinden es ihm gestattet. In diesem besonderen Jahr 2020 ist nichts gestattet. Ein unscheinbares Virus hat den Maifeiertag ganz ausgeknipst: Abstand halten, Kontakte vermeiden, zu Hause bleiben und singen mit Mundschutz sieht auch doof aus. An so einem ersten Maitag, sonnig und kalt, suchen wir in Familie nach der Alternative, die auch noch klug sein darf. Letztlich fällt die Wahl auf genau hinaus in die Natur. Alleinsein mit Bäumen, blühenden Rapsfeldern und dunkel drohenden Wolken am Himmel. Die Gedanken kreisen da schon länger um ein spezielles Projekt. Dieser 1. Mai bietet sich geradezu an, zumal Erinnerungen an die Eltern wieder einmal fassbar sind. Wir beschließen, einen etwas anderen Wald zu besichtigen. Gleich hinter dem Ortsschild von Thale führt die Straße steil in die Serpentinen zum Hexentanzplatz. Hinter der zweiten steilen Kurve biegen wir links in den Wald: Friedwald steht auf dem Hinweisschild. Am Parkplatz angekommen, empfangen uns Ruhe und ganz viele Bäume, Laubbäume. Es scheint, als wäre dies einfach Wald. Doch hier tragen einige Bäume gelbe und blaue Plaketten, an anderen finden sich schlichte kleine beschriftete Schilder in schwarz. Dazwischen ab und an einige Steine mit ebenso einem beschrifteten Schild und manchmal ein Blumengebinde davor. Auf der höchsten Erhebung des Waldes finden wir einen Platz mit Bänken und einem Stein die Kapelle unter freien Himmel. Schlicht, würdevoll, ruhig und dennoch fast majestätisch anzusehen. Im Rücken der Bänke ein Kreuz aus Holz zwischen den Bäumen, groß, aber unauffällig. Hier, so die Vorstellung der beiden Neu-Harzer, würden wir gern der ewigen Natur übergeben werden wollen, weil es sich so gefügt hat. Eine beruhigende Vorstellung und niemand hätte „Pflichten“ zu erfüllen. Unsere Füße laufen auf schmalen Waldwegen, nur manchmal von steinigen Stellen unterbrochen. Lily stakst darüber, benimmt sich aber ansonsten dem Augenblick angemessen. Wir entdecken noch viele Bäume mit den gelben Plaketten, entdecken im Waldboden liebevoll gestaltete Kleinode und treffen außer zwei Damen nur noch einen Radfahrer, der uns auf dem steilen Weg wieder abwärts bis hinein nach Thale nicht mehr aus dem Rückspiegel gerät. Der Friedwald liegt hinter uns auf dem Berg und hinter Thale genießen wir den weiten Blick über gelbe Felder und grüne Äcker bis zu den Bergen, die hinter Thale die berühmte Schlucht der Bode wie eine gigantische Kerbe aufreißen. Links oben der Hexentanzplatz, die Seilbahn und das Bergtheater, rechts gegenüber der Felsen der Roßtrappe. Ein imposanter Postkartenblick mit den dunkel drohenden Regenwolken im Hintergrund. Es fühlt sich gut an, diese Gegend als Zuhause empfinden zu dürfen. Statt durch das kleine Westerhausen hindurch zu fahren, biegen wir mitten im Ort auf eine holprige Seitenstraße ab. Die führt, an den Königsteinen mit dem Kamelfelsen vorbei, direkt zu einer Brücke über die umbenannte B6n bis nach Börnecke. Doch hinter dieser Brücke stellen wir das Fahrzeug am Straßenrand ab, nehmen Lily an die Leine und laufen über die Wiese. Nahe einer kleinen Anhöhe über der B6n steht er, der Menhir von Westerhausen. Der ruht stolz, wie jener von Derenburg ( HIER ), als würde er über diese Landschaft im Harzvorland wachen. Von hier habe ich einen faszinierenden Blick, an dem Hinkelstein vorbei, über die Bundesautobahn bis nach Blankenburg mit dem Turm vom Ziegenkopf darüber und auf der anderen Seite bis Thale sowie darüber hinaus. Der Rock-Rentner, sein Hund und dieser einsame Stein würdiger könnte so ein Tag nicht enden. Diesen Augenblick noch für Sekunden genießen, ihn festhalten und Goethe’s aus „Faust“ zitieren: „Würd ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch! Du bist so schön! Dann magst du mich in Fesseln schlagen, dann will ich gern zugrunde gehen!“ Mit dieser Erkenntnis im Gepäck, geht es über die Wiese zurück zum Fahrzeug, wieder nach Hause, in die „Quarantänestation“. Meine Gedanken sind immer noch beim 1. Mai, dem 98. Geburtstag meiner Mutter und im Kopf klingt diese schöne Melodie: „Don’t ask me why, but time has passed us by, some one else moved in from far away.“ Irgendwo ißt jetzt bestimmt jemand seine Bratwurst und trinkt ein Bier dazu. Prost! Auf den 1. Mai 2020 und auf diesen schönen, erlebnisreichen Tag.