Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Ich bin der RockRentner im Harz
und berichte hier von meinen Wanderungen, zufälligen Begegnungen und Entdeckungen im Harz.
Neowise, wo bist du? 12. & 13.07.2020 Seit einigen Tagen kann man Meldungen über einen Kometen lesen und hören. Neowise kommt aus den Tiefen des Universums, kennt dessen frühe Zeiten und streift nun, wieder einmal seit Ewigkeiten, unser Sonnensystem. Je näher der Klumpen Staub und Eis der Sonne kommt, desto intensiver strömt ein Schweif seiner Materie hinaus ins All. Inzwischen ist uns der „Schweifstern“ so nahe, dass man ihn mit bloßem Augen sehen kann, sagt man. Meine Neugier nach Wissen von der Unendlichkeit des Alls ist schon immer groß, so groß, dass ich beschließe, mir den Botschafter des Universums anzusehen. Der wurde erst im März dieses Jahres vom reaktivierten Weltraumteleskop Neowiese, daher auch sein Name, entdeckt. Allerdings kommt er nur alle fünf- bis siebenstausend Jahre der Erde so nahe, dass er mit bloßem Auge zu sehen ist. Da ich dieses stattliche Alter voraussichtlich nicht erreichen werde, muss ich die Chance jetzt nutzen. Man sagt, dass ich ihn entweder bei Sonnenuntergang oder kurz vor dem Sonnenaufgang mit eigenen Augen bewundern kann. Es ist Sonntag und schön warm. Ein ziemlich freier Himmel spannt sich über Halberstadt. Wir waren soeben „lecker essen“, wie Königin Beatrix, und ich beschließe, die Höhe Spiegelsberge zu erklimmen. Die liegt am südlichen Stadtrand. Ganz oben steht ein Restaurant plus Terrasse mit Blick auf die Stadt. Dort könnte ich, so meine Hoffnung, Glück haben. Also stelle ich (als einziger) mein Fahrzeug auf dem Parkplatz unten ab und steige zum Restaurant mit Aussichtsplattform empor. Stufe um Stufe, jeweils zwei Schritte dazwischen und alle zehn Stufen eine Verschnaufpause für die linke Hüfte. Mein Gepäck sind ein Feldstecher sowie die Kamera. Am Ziel angekommen, bin ich außer Puste, weil außer Übung, und glücklich. Auf einer Erhebung über der Terrasse stehen zwei Bänke, von der Jugend in Beschlag genommen. Ich grüße höflich, frage, ob sie auch den Kometen sehen wollen. Darauf begegnen mir ungläubige Blicke und die Frage: „Was für ein Komet? Ist das so ’ne Sternschnuppe?“ Gegenfrage: „In welche Klasse geht ihr?“ Man erklärt mir, dass man in der 11. Klasse wäre, worauf ich wieder frage, warum sie Sternschnuppe und Komet nicht unterscheiden können Schweigen. Also gebe ich Nachhilfe. Nun darf ich mich als Beobachter hinzu setzen und den Himmels sitzend mit meinen Augen plus Feldstecher abtasten. Richtung Westen sehe ich die Sonne untergehen, Richtung Osten nur Schleier aus Wolken und Dunst. Der jugendliche Smartphonedienst hat sich inzwischen auch weitergebildet und zeigt mir stolz, woher denn Neowise zu erwarten wäre. Genau dort versperren Bäume rechterhand die Sicht auf den Dunst. In mir macht sich Ernüchterung und so etwas wie Enttäuschung breit. Ich fotoknipse noch ein wenig Sonnenuntergangsstimmung sowie die Türme von Halberstadt. Irgendwo in der Siedlung steigt weißer Rauch auf. Ansonsten nichts, was spannend, außergewöhnlich oder gar sensationell wäre. Wer weiß, hinter welchem Schleier sich Neowise gerade versteckt. Vielleicht beobachte ich auch den verkehrten Abschnitt am Abendhimmel. Ich packe meinen Feldstecher und die Kamera, verlasse den Betonklotz mit den beiden leeren Bänken darauf und stolpere die unwegsame Treppe wieder abwärts, als wäre nichts gewesen. War ja auch nichts! Am nächsten Morgen steige ich exakt 4.00 Uhr ins Auto und verlassen den Hinterhof. Halberstadt ist zu dieser Stunde noch leergefegt. Erst auf der Ausfallstraße hinter dem Ortsschild kommen mir zwei Scheinwerfer entgegen. Links und rechts sowie vor mir dominiert noch Dunkelheit. Auf halber Strecke zur Wilhelmshöhe biege ich nach links auf einen Feldweg ab, steige aus und werde vom taufrischen Morgen empfangen. Stille. Hier will ich dem „neuweisen“ Kometen auflauern, am liebsten entdecken. Mit dem Feldstecher suche ich den Dunstschleier über der Silhouette von Halberstadt und den Himmel darüber ab. „Hier muss er doch irgendwo sein.“, schleicht sich die Melodie von „Vater“, die Gerhard Gundermann erfunden hat, durch meinen Kopf, „Hier irgendwo.“ Doch ich sehe nichts, kann ihn nicht finden. Nirgends! Mein lautes frustriertes Gähnen schallt über die weite der Felder vor und hinter mir. Ganz allmählich verblasst ein hell leuchtender Stern über der Stadt und die Sichel des Mondes glotzt zu mir herunter. Drei weißnichtwasfür Vögel ziehen am Himmel, hintereinander fliegend, und schweigend ihre Bahn an den Wolkenfetzen vorüber. Ein einsamer Radfahrer gleitet auf der B81 Richtung Stadt in den Morgen und wenig später ein Zug der Regionalbahn von Langenstein auf der anderen Seite. Ich entdecke zu dieser frühen Stunde alles Mögliche, nur keinen Schweifstern am Himmel. Neowise, wo bist du?? Als ich begreife, dass mir Neowise wohl für die nächsten fünftausend Jahre entwichen ist, versuche ich, mich am bevorstehenden Sonnenaufgang zu erfreuen. Der Himmel hat sich über der Silhouette der Stadt rot eingefärbt und in der Atmosphäre bildet sich ein gelblich leuchtendes Ebenbild unserer Sonne heraus. Langsam werden die Farben intensiver und exakt 5.15 Uhr leuchten zwischen beiden Türmen des Domes die ersten Sonnenstrahlen hindurch. Was für ein schönes und erhabendes Bild! Im Mai 2017 war ich um diese Stunde schon einmal hier draußen, um ähnliche Eindrücke, nur viel weiter östlich vom Zentrum entfernt, bewundern zu dürfen. So ein schöner Flecken Erde und keine Spur von Corona zu erahnen oder diesen unsäglich polarisierenden Wahl“kämpfen“ in der Stadt zu sehen! Dafür hat es sich gelohnt, vor die Tore von Halberstadt zu fahren. Wenn Neowise in vielleicht fünf Mal tausend Jahren noch einmal am Planeten Erde vorüberziehen und aufleuchten wird, hoffe ich sehr, dass es noch Spuren der Menschheit geben möge. Ich hoffe, dieser wundervolle blaue Planet wird diese Spezies dann akzeptieren können, weil sie vor langer Zeit dessen Wert sowie Einmaligkeit erkannt und angefangen hat, sich daran zu orientieren. Der Schritt in das All wird uns nur dann gelungen sein, wenn wir hier friedlich miteinander leben und diese Winzigkeit Erde zu behüten gelernt haben. Falls nicht, wird „as slow as possible“ (Cage) längst verklungen und überall Ruhe sowie „der einfache Frieden“ (Steineckert) eingekehrt sein. Ich wünsche Dir eine ruhige Reise, Neowise, und uns Menschen eine glückliche und friedliche Zukunft.