Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Ich bin der RockRentner im Harz
und berichte hier von meinen Wanderungen, zufälligen Begegnungen und Entdeckungen im Harz.
NÜRNBERG – drei Episoden im Schutze der Burg 09.-11.10.2021 Heute ist der 7. Oktober. Na, klingelt’s? Da es hierzulande keine protzigen Umzüge mehr gibt, bin ich in einen Zug gestiegen. Zwei Mal bin ich umgestiegen, in drei verschiedenen Zügen durch sehr schöne Gegenden gefahren und schließlich nachmittags in einem großen Hauptbahnhof wieder ausgestiegen. Reisen bildet, sagt man, und ich bin auf einer Bildungsreise, bilde ich mir ein. Dennoch habe ich keine Freude daran. Zu viele Menschen, zu viele mit Masken im Gesicht und viele mit vielen Gepäckstücken, mit denen sie irgendwohin hetzen. Ich hasse es, zu hetzen, gehetzt zu werden und mittendrin zu sein. Im Hotel angekommen, hole ich erst einmal tief Luft und genieße die Ruhe. Reisen mit der Bahn, sagt man, soll entspannend, sein. Ich hab’ davon nichts bemerkt und deshalb mag ich es nicht! Punkt. Episode 1 – die Burg: Die Stadt hat sich zu Füßen einer mittelalterlichen Burganlage ausgebreitet. Die Kaiserburg wurde auf einer Anhöhe errichtet und deshalb muss man bergan laufen. Als ich es merke, ist es zu spät. Auf der Karte war nicht zu erkennen, dass die Straße steil ist. Auf die Straße folgen Stufen und die führen zu einem großen Tor. Da schreite ich mit fast letzter Puste hindurch, bis zur Palisade und plötzlich schaue ich auf die Stadt, eine richtig große Stadt, herab: Nürnberg. Dieser Blick hat was, zumal ich so gut wie nichts von dem, was ich erblicke, einordnen kann. Ein Turm nach dem anderen und mittendrin ein Telespargel. Aus den Dächern ragen Kirchen heraus und Kräne strecken sich gen Himmel. Überall Dächer, so weit das Auge sehen kann, ein wahres Häusermeer. Das eigentliche Schauspiel jedoch findet am Himmel statt, denn die Sonne geht soeben unter. Wir erleben einen Sonnenuntergang, der sein glutrotes Licht als Wolkenschleier über die Dächer der Stadt legt. So also werden hier Besucher empfangen! Ich genieße das Schauspiel und beschließe dann, noch einmal hierher zu kommen, wenn die Sonne nicht untergeht, sondern in aller Pracht erstrahlt. Dann verlasse ich diesen Teil der Burg wieder und blicke wenig später in eine Straßenschlucht, die sich bis hinunter zum Zentrum zu ziehen scheint. Ich lasse mich zu einer abendlichen Erkundung locken und tauche in das Häusermeer der fremden Stadt, auf die Straßen zwischen den Fassaden, ein. Musste ich vorhin noch steil bergan, stolpern meine Füße jetzt schräg abwärts, was meinen Gelenken eher missfällt. Ich gehe an großen alten Gebäuden, an Gastlichkeiten, einer Kirche und dem Rathaus vorbei, bestaune reich verzierte Fassaden und Portale und lande schließlich auf einem großen Platz, dem Hauptmarkt. Zur linken entdecke ich ein Bauwerk, das mir irgendwie bekannt vorkommt und dann fällt es mir ein Christkindlmarkt. Von dem Portal dieser Gotischen Frauenkirche eröffnet Jahr für Jahr das Christkindl den weltberühmten Weihnachtsmarkt. Dafür ist es noch zu früh und deshalb sind hier nicht ganz so viele Menschen zwischen all den Buden und Ständen unterwegs. Dennoch bin ich beeindruckt von der Größe dieses Platzes und vom Treiben am Donnerstagabend. Der Tag neigt sich dem Ende zu und hier sind immer noch viele Menschen anzutreffen. Zu viele für mein Empfinden. Ich verziehe mich in die Gastwirtschaft „Bratwurst Röslein“, verspeise kleine Nürnberger Würstchen mit Sauerkraut und sitze natürlich wieder nicht allein. Erst viel später werde ich feststellen, dass die Kneipen der Stadt, die Restaurants und Bars fast immer bestens gefüllt sind. Am Ende des Tages bin ich müde. Es reicht! Wo ist mein Bett? Episode 2 – der Markt: Neuer Morgen, neuer Tag, viele neue Abenteuer in neuer Stadt. Im Grunde müsste man sich tagelang ausklinken, um in die Stadt und deren Historie einzutauchen. Ich sage nur Dürer und Hans Sachs. Der eine hat der Stadt sein Wohnhaus und seine Kunst hinterlassen, der andere Sprüche, die Dramen und vielleicht noch ein paar alte Schuhe. Also beschränke ich mich auf das Wesentliche: exquisit Speisen. Wir werden in einen Gourmet-Tempel vom Allerfeinsten geführt. Es geht durch ein historisches Portal, auf einen Innenhof und über Stufen in die Weinstuben. Wieder lassen mich die Ausmaße in Ehrfurcht erstarren und über die Preise decke ich den Mantel des Schweigens. Das Steak vom Reh hat dennoch hervorragend gemundet und das Heilig-Geist-Spital kann ich sehr empfehlen. Man gönnt sich ja sonst nichts. Nach dem Essen ist vor der Verdauung. Da fällt mir wieder die Burg ein und weil es die liebe Sonne so gut meint, finde ich mich auf der Burgstrasse wieder und die führt, vom Hauptmarkt bergan, zur Burg. Zur Rechten das Rathaus, zur Linken das „Bratwursthäusle“ und die Sebalduskirche, das Kaufmanns-Haus aus dem 16. Jahrhundert fest im Blick, bis endlich der Sinwellturm der Burg zu sehen ist. Dann nur noch die Stufen, durch das Tor und mein Ziel ist erreicht: Die Mauer mit Blick über die Stadt. Das reichhaltige Mahl sollte verdaut sein und ich sehe die Stadt ausgebreitet vor mir. Die ist ein Traum im gleißenden Sonnenlicht. Verschwenderisch beleuchtet der glühende Ball am Himmel auf die Gebäude der Burganlage. Die Mauern und die Farben des Herbstes ziehen mich magisch an und danach in den Innenhof. Dort stehe ich, staune und kann all diese Pracht trotzdem nicht fassen. Ich fühle mich wie in einem Rausch, einem Traum vergleichbar, der an einem vorüber zieht. Ich sehe viele Bilder, deren Farben, aber die Gesamtheit all dessen entzieht sich immer wieder. Zu viel auf ein Mal und weitere Eindrücke werden folgen. Neben dem Auftritt des Christkindle, hat der Hauptmarkt noch eine andere Attraktion zu bieten. Sicher noch viele mehr, aber das wunderschöne Glockenspiel mit dem „Männleinlaufen“ am westlichen Giebel der Frauenkirche wollte ich unbedingt sehen. Pünktlich zur Mittagsstunde beginnen die Männlein ihren dreimaligen Rundgang um den Kaiser, um ihm zu huldigen. Dieses Schauspiel zu erleben, kommen die Besucher hierher und dann ist der Hauptmarkt voller Menschen. Sie stehen überall und ich mittendrin. Das mittägliche Glockenspiel ertönt und wenig später beginnt die Zeremonie als deren Höhepunkt. In der rechten Tür erscheinen sieben Kurfürsten, die sich um den Kaiser herum bewegen, während jener die Herren mit seinem Zepter grüßt. Das Ganze genau drei Mal und dann verschwinden sie wieder im Innern, um am nächsten Tag das Spiel erneut aufzuführen. Die Menschentrauben auf dem Marktplatz lösen sich wieder auf und der Markttag nimmt seinen gewohnten Lauf. Ich habe es gesehen und kann nun mitreden. Für das abendliche Mahl werden wir in eine besondere Gastlichkeit entführt. In der Adlerstrasse lockt das „Tapasitos“ mit verführerischen Düften und einer ganz besonderen Bar-Atmosphäre. Statt einem Teller mit einem ausgewählten Gericht, serviert man hier kleine Schälchen mit diversen Früchten und Fleischspezialitäten sowie kleinen Snacks. Hier stillt man nicht den Hunger, sondern zelebriert Genuss und spanisch feurige Gastlichkeit. Ich bin tatsächlich begeistert, wie das Personal mit seinen Gästen umgeht, stets deren Wohl im Sinn hat und besondere Wünsche im Eiltempo voraus zu ahnen scheint. Es ist südliches Temperament gepaart mit entspannter Geselligkeit, eine Mischung, die ich so noch nie erlebt hatte. Vor der Tür standen die Gäste Schlange, warteten geduldig auf einen freien Platz, um für einen Abend den kleinen Corvid draußen warten zu lassen. Das „Tapasitos“ – mein Geheimtipp! Episode 3 – die Rundfahrt: Vor dem Rathaus wartet der rote CityTrain auf Mitreisende. Zum Abschluss möchte ich noch, quasi im Schnelldurchlauf, weitere Sehenswürdigkeiten der Stadt in Augenschein nehmen. Die kleine Stadtbahn ist mir mehrmals begegnet und so reifte die Idee, die Stadt selbst einmal mobil zu erleben. Der letzte Zug am Nachmittag scheint gewartet zu haben und ein schöner Frontplatz findet sich außerdem. Eine knappe Stunde lang werden wir rund um die historische Altstadt kutschiert und gewinnen Eindrücke, die wir ansonsten nicht einmal geahnt hätten. Die Rückseite der Burg zum Beispiel, deren Schutzwälle und Türme wären uns verborgen geblieben. Wir erhaschen Blicke auf historische Fachwerkhäuser und alte Straßenzüge und hören von Menschen, die der Geschichte Nürnbergs bis heute besonderen Glanz verleihen. In der Stadt leben Historie und Moderne dicht nebeneinander, Fachwerk löst Glasfassaden ab und in den Straßen pulsiert geschäftiges Treiben. Die Stadt strahlt Lebensfreude und Qualität aus, aber leben möchte ich hier nicht. Dafür bin ich nicht geschaffen und geeignet sowieso nicht. Ich bin begeistert, aber auch glücklich, durch die Stöpselgasse meiner Unterkunft entgegen laufen zu können. Nürnberg bei Nacht - es gibt keine Bürgersteige, die man hochklappen könnte. Das Leben nimmt hier jeden Quadratmeter in Anspruch. Wenn dies der moderne Lifestyle sein soll, bin ich gern altmodisch oder von gestern. Das Leben in der Stadt kann ich genießen wie ein Stück Sahnetorte oder ein lecker Gläschen Likörwein, zeitlich begrenzt und für den Augenblick. Als ich die nächtlichen Silhouetten und Lichter bewundere, ist die Sehnsucht nach meiner Normalität auch wieder da. Ich genieße es, für ein paar Momente in einen anderen Mikrokosmos einzutauchen, doch danach möchte ich bitte wieder in meine Welt zurück reisen. Wenn es sein muss, auch mit der Bahn und mit Umsteigen. Ein Sprichwort sagt, dass man sich meist zwei Mal im Leben trifft. Auch Nürnberg darf auf einen zweiten Besuch von mir hoffen – später.