Ich bin der RockRentner im Harz
und berichte hier von meinen Wanderungen, Begegnungen und Erlebnissen (nicht nur) im Harz.
Alte Mühle und Teufelsmauer bei Warnstedt
08.05.2023
Es ist endlich Mai. Draußen gibt der Frühling Vollgas. Ein Lied kommt mir in den Sinn: „Heute bin ich allein“. Doch
nirgends im Harz gibt es eine „Böse-Buben-Bar“ und an ein „riesengroßes Fass“ ist auch nicht zu denken. Zwei Tage
werde ich Strohwitwer sein und das einzige, was mir einfällt, ist „RAUS!“. Ich will den Frühling fangen, ihn spüren und
eine Riesenportion Natur aufsaugen. Nur wo anfangen, wohin gehen, wenn keine konkrete Idee anklopft? Also rufe ich
meinen Kurschatten Wilfried an und frage, ob er Zeit hat. Er hat. Sein Weib begab sich nach Polen zum Shoppen. Zufälle
gibt’s aber auch!
Direkt nach Börnecke zu fahren, hatte Minister „Um-Lei-Tung“ verhindert. Vor der Autobahnbrücke, so meinte Wilfried,
führt ein Landwirtschaftsweg durch die Felder. Den soll ich nehmen, die Vollsperrung umgehen. Also bin ich kurz vor
Westerhausen rechts hinein in die Felder gefahren, geradeaus auf dem Doppelstreifen Beton. Von Kurve zu Kurve und
plötzlich durch quittegelbe Rapsfelder, die sich sanft in die Hänge schmiegen und irgendwo da eingebettet schläft
Börnecke. Dieser Anblick haut mich um. An einer Ausweichstelle halte ich an. Irgendwer hat die Welt hier total
ausgebremst, einfach angehalten. Jetzt weiß ich, was ich will, habe da so eine Idee.
Mit Wilfried könnte ich stundenlang quasseln. Bei ihm fühle ich mich wohl. Dennoch drängt es mich in die Natur. Ich
möchte die Teufelsmauer einmal anders, einmal „von hinten“, entdecken. Die Fahrt von Börnecke nach Warnstedt auf
einer welligen Piste, über Hügel und entlang an gelben Feldern, wird zu einem Erlebnis. Am Feuerwehrhaus der kleinen
Ortschaft biege ich in Richtung Weddersleben ab. Eine typische schmale Landstraße führt wieder raus und dann
entdecke ich sie - eine Mühle. Sie grüßt mit ihren Flügeln von einem Hügel am Ortsausgang zu mir runter. Die hatte sich
bisher vor mir versteckt. Rechts ran, anhalten, aussteigen und den kleinen Hügel, Eckberg genannt, erobern.
Wenige Minuten später bestaune ich das alte Gemäuer, erbaut 1855, und seine Pracht. Diese Mühle erinnert mich
irgendwie an Märchenfilme und dreht für eine Weile die Zeit um ein ganzes Jahrhundert zurück. So könnte es damals
hier auch schon ausgesehen haben, denke ich, und lasse den Blick über die grünen und gelben Feldflächen bis zur
Teufelsmauer schweifen. Die ist von hier Luftlinie höchstens einen Kilometer entfernt und erhebt sich mit dem
berühmten Königstein bei Wedderleben und ihren Mittelsteinen stolz und erhaben aus der Landschaft. Dahinter steigen
die Hänge vom Harz in die Höhe. Auf dem kleinen Plateau drehe ich eine Runde, bestaune die verschiedenen
Perspektiven und kann die Augen in alle vier Himmelsrichtungen schweifen lassen. Es ist ein Privileg, dieses Panorama
zu sehen, es förmlich aufsaugen zu können. Weit und breit keine Touristen, die nicht ahnen, was sie abseits all der Hot-
Spots verpassen können: eine alte Mühle, zwei große Mahlsteine und ein unbezahlbarer Blick auf das gesamte
Harzvorland bei Thale, einschließlich der Teufelsmauer. Eigentlich möchte ich noch bleiben, doch mein Ziel lockt mich.
Deshalb zurück zur Straße.
Schon beim Anhalten sind mir die blühenden Straßenbäume links und rechts aufgefallen. Also nehme ich mir Zeit, auf
dieser Landstrassenallee zu flanieren, um die bunte Blütenpracht, die stellenweise wie ein Dach wirkt, zu bewundern.
Der natürliche Zauber wird durch das grelle Gelb des Rapsfeldes am Feldrain noch verstärkt und lässt die Sinne
Purzelbäume schlagen. Ich stehe zwischen Straße und Feld im Gras, blicke über den Raps und sehe im Hintergrund die
schroffen Felskanten der Teufelsmauer in den Himmel ragen. Wer soll bei so einem Anblick nicht ins Schwärmen
geraten? Die zwei-, dreihundert Meter zurück zum Gefährt bringe ich gemächlich hinter mich und fahre dann den
Häusern am anderen Ende der Landstrasse entgegen; Weddersleben. Auf zur „Rückseite“ der Teufelsmauer.
Ich finde einen Stellplatz direkt am Feld, am hinteren Ende einer Strasse, deren Beginn einer Einfahrt zu einem privaten
Grundstück gleich kommt. Es gehört etwas Mut dazu, da einfach hinein und um die Kurve zu fahren. Höchstens fünf
Minuten muss ich laufen, bis ich zu einer Anhöhe gelange, wo es mir den Atem verschlägt. So habe ich die berühmte
Teufelsmauer noch nie gesehen! Direkt vor mir, hinter einem Feld sowie einer sich anschließenden Streuobstwiese,
stehen die Mittelsteine wie eine schwarze Wand, stolz und mächtig. Wende ich aber den Blick nach links ins Tal, erblicke
ich die wagehalsig steil stehenden Segmente der Teufelsmauer, die sich leicht dem Harz zu neigen. Das kann nur
Teufelswerk gewesen sein, diese Brocken derart wuchtig in die sanften Hügel zu rammen. Ich würde ja verweilen und
staunen, aber ich möchte auf die andere Seite, wo die Mittelsteine darauf warten, bestiegen und erkundet zu werden.
Zur anderen Seite muss man, gewollt oder nicht, einem schmalen Trampelpfad durch ein Feld folgen, widerwillig aber
mutig. Dann stehe ich auf einer Streuobstwiese, die sich am Hang ausbreitet und auf dem Kamm dort oben reihen sich
die Steine aneinander. Da will ich rauf, muss aber erst einmal einen Zugang finden. Also suche ich am Hügel und stetig
aufwärts zwischen den Bäumen entlang. Endlich ein Trampelpfad im Gras und der führt steil genau zwischen die Steine!
Als ich etwas später endlich da oben stehe, bin ich völlig außer Puste, platt wie eine Flunder. Meine Beine schlackern,
mein ganzer Körper zittert, ich schnappe Luft. Die Kolik von vor einer Woche macht sich urplötzlich bemerkbar. Da ist
ein großer Stein – Pause - setzen! Alter Falter, das war knapp.
Entlang der Teufelsbrocken windet sich ein schmaler Trampelpfad über den Hügel. Links die Brocken, rechts geht’s steil,
locker dreißig Meter, auf einem mit Gras bewachsenen Hang abwärts. Mit weichen Knien bewege ich mich, stellenweise
tastend, an den Felsen entlang nach vorn. Zwischendurch immer wieder ein Blick durch die Steine auf die Landschaft
und die Häuser von Weddersleben. Die Mühle von Warnstedt ist auch gut auszumachen. Auf der anderen Seite schaue
ich über die Senke zu den Bergen. Der Einschnitt des Bodetals mit der Roßtrappe ist trotz des gleißenden Sonnenlichts
bestens zu erkennen. Es ist einfach fantastisch und dann bin ich schon vorn. Der Blick weitet sich und ich schaue direkt
auf jenen Teil der Teufelsmauer, der wohl am bekanntesten ist. Von meinem Standort aus erkennt man erst die wahre
Faszination der Steinformationen, die sich fragil in die Landschaft neigen. Der Teufel hatte eine Menge Geschmack, als
er sein Kunstwerk erschuf. Ich bin von diesem Anblick ein wenig ergriffen und genieße des Teufels Werk, auf dem
Menschen, klein wie Ameisen, herumkrabbeln. Man muss sehen, muss hier sein, um der Schönheit mit eigenen
Gedanken ein Gemälde davon ins Hirn zu pinseln, es zu konservieren. Vielleicht wäre jetzt ein Selfie angebracht. Doch
ich stehe allein auf den Mittelsteinen und ein Handymuffel bin ich auch. Das wird wohl nüscht.
Von diesem Anblick muss ich mich quasi losreißen. Auf dem Pfad zurück bieten sich neue Perspektiven zum Staunen. Es
ist so unglaublich abwechslungsreich und eine derartig dichte Farbenfülle, dass man seine Augen damit besoffen gucken
könnte. Die Natur gibt Vollgas, befindet sich im Farbenrausch. Als Menschlein stehe ich überwältigt mittendrin und ahne
im Grunde nichts von dieser Einmaligkeit, wenn ich sie mir nicht selbst bewusst mache. Mit solchen Gedanken gelange
ich ans andere Ende, von dem aus ich auf die dritte, kleine Felsreihe von Darnstedt, blicken kann. Rechts daneben winkt
mir die alte Mühle herüber. Noch so ein wunderschöner Anblick. Alles richtig gemacht, denke ich. Mitten durch die
gelben Rapsfelder gelaufen, die alte Mühle entdeckt und die „Dark Side“ der Teufelsmauer bestaunt. Ich bin ein
glücklicher Mensch.
Dann stolpere ich wieder durch die Streuobstwiesen, jenem Pfad im Feld entgegen, der mich zur Bank am Feldrain
bringt. Noch einmal durchatmen, den gigantischen Anblick auf die Teufelsmauer genießen und dann langsam, ganz
langsam zum Auto zurück finden – hinein in die hastende Technikmühle, die uns weismachen will, lebensnotwenig zu
sein. Den Steinformationen hinter mir und der alten Mühle da oben ist das egal. Sie flüstern mir zu: „Wenn du es eilig
hast, geh’ langsam.“ (Konfuzius)