Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Ich bin der RockRentner im Harz
und berichte hier von meinen Wanderungen, zufälligen Begegnungen und Entdeckungen im Harz.
Mit Lily auf Abenteuersuche August & September 2020 (“Lookin' for adventure and whatever comes our way, yeah Darlin' go make it happen, take the world in a love embrace.” - Steppenwolf) Wenn eine Dame die neunzig auf ihrer Lebensuhr erreicht hat, zieht man ehrfürchtig den Hut. Genau das machen wir jeden neuen Tag, denn unsere Lily wird in diesem Oktober ihr sechzehntes vollenden. In Menschenjahren ist sie damit locker bei neunzig angelangt. Das war ihr einst nicht ins Stammbuch geschrieben, denn sie hat seit ihrer Geburt, am 16. Oktober 2004, auch einen Herzfehler, ließ uns der Doktor wissen. Doch zehn Jahre später hat sie mit uns sogar einen Neustart in den Harz gewagt und so getan, als wäre das wie eine Neugeburt. Sie hat einfach mit uns angefangen, die Berge, die Wälder und Wege im Harz zu erkunden. Zu dritt starteten wir in den vergangenen fünf Jahre regelmäßig eine Tour nach der anderen: Rosstrappe, Hexentanzplatz, zu La Viers, Ottofelsen, Prinzensicht, Drei Annen Hohne mit Hohnehof, Mönchsbuche, Scharfensteinklippen, Weißer Hirsch bei Treseburg, Blauer See, Torfhaus sowie Brocken im Sommer und Winter, um nur die bekanntesten zu nennen. All die kleinen Touren auf Nebenwegen oder zu den eher unbekannten Stellen, wie den gefrorenen Randau-Wasser- Fall im eisigen Winter, nicht mit gerechnet. Alle Fotos auf dieser Seite werden durch Anklicken größer. Nun schreiben wir 2020 und allmählich versucht dieser Sommer, sich mit viel Sonnenschein von uns zu verabschieden. Als wolle er mitteilen, nutzt diese Tage, ehe der Winter vom Brocken ins Tal, und diesmal vielleicht sogar mit viel Schnee, hinab steigt. Das hat auch Lily verstanden, denn wenn es ihr gut geht, drängt die betagte Lady auf ihren regelmäßigen Spaziergang, der ansonsten einer Route im Wohngebiet folgt. Das war auch an einem Spätnachmittag so. Also fuhren wir kurz entschlossen aus der Stadt heraus an einen kleinen See. Hier gibt es eine öffentliche Badeanstalt und auf einem Hügel dahinter eine kleine Siedlung mit einem Campingplatz. Dort, so haben wir uns sagen lassen, soll die „Hexenmeisterin“ von Halberstadt, versteckt hinter Bäumen und Büschen, ihr Domizil haben. Wir waren vor Jahresfrist schon einmal hier, aber am falschen Ufer vom See. Das Anwesen der Geschichtenerzählerin blieb unerreicht für uns, das Vorhaben aber nicht vergessen. Diesmal starten wir am Campingplatz. Wir finden den Weg, der hinab in die Senke führt, und wenige Schritte später gelangen wir zu einer Brücke mit einem Stolperloch davor. Sehbehindert, wie Lily seit einigen Monaten durch die Welt laufen muss, wird ihr dieses Loch beinahe zum Verhängnis. Ist noch einmal gut gegangen. Wir überschreiten die alte Holzkonstruktion und befinden uns plötzlich in einer anderen Welt, vor einem kleinen Zauberschloss. Hier also residiert die „Hexenmeisterin“, hier sitzt sie und schreibt an ihren kriminalistischen Hexengeschichten, die ihre Leser an magische Orte überall im Harz entführen und hier steigt sie in ihren alten roten „Hexenbesenkäfer“ zu ihren Exkursionen tief in die Wälder. Wir bewundern die abgeschiedene Schönheit dieses Ortes, drücken einen Stempel aus dem roten Hexenkasten in unseren Hexenpass und verlassen das Areal wieder auf ganz leisen Sohlen. Schließlich wollen wir nicht auf uns aufmerksam machen und außerdem drängt uns Lily, deren Fell wie bei einer Kratzbürste aufgestellt ist. Es müssen also doch mystische Geister und magische Kräfte den Palast am See bewachen. Wieder auf dem Hügel angekommen, empfängt uns ein fantastischer Blick auf die Silhouette von Halberstadt mit dem Brocken am Horizont. Auch Lily hat sich wieder entspannt und schlendert mit uns noch eine Runde über den Campingplatz, ehe wir wieder im Häusermeer der Vorharz-City eintauchen, über der ein Heißluftballon lautlos abwärts schwebt. Nur wenige Tage später verlassen wir die Stadt mit den vielen Kirchturmspitzen am anderen Ende. Wir wollen die Wiesen und Waldränder unterhalb vom Regenstein erkunden. Lily verzichtet dafür auf ihren gewohnten Routinegang durch die Hinterhöfe und tauscht ihn gegen Feld- und Waldwege ein. An der Kreuzung zum Pfeifenkrug gibt es einen Parkplatz für Pendler. Dort, wo eigentlich der Goldbach fließt, beginnen wir unsere Exkursion in die Natur. Das Bächlein, das vor drei Jahren den Ort Harsleben mit seinen Wassermassen überschwemmte, ist kaum zu entdecken. Es ist ausgetrocknet. Extreme warme Sommer und Winter ohne Schnee, haben dem Wasserlauf den Rest gegeben. Fast ist es ein Wunder, dass die Natur das alles noch wegzustecken scheint. Wir wandern an saftigen Wiesen entlang, sehen blühende Flächen, aber auch den ausgetrockneten Wald unterhalb des großen Papenberg, an dessen Rand sich unsere Lily entlang schnuppert. Aus dem Gebüsch blinzeln ihr zwei muntere Augenpaare zu und grüßen uns. Glöckchen und Tröpfchen sind hier im Wald unterwegs: „Hallo ihr zwei, geht es Euch gut?“ Sie nicken mit den Köpfen, wir tauschen Neuigkeiten aus und dann verschwinden sie wieder im dichten Unterholz des Waldes. Vor lauter Überraschung vergesse ich, beide nach Rinderich zu fragen. Auf dem Rückweg macht Lily Bekanntschaft mit zwei anderen Hunden, die auf jüngeren Pfoten sowie mit Begleitern unterwegs sind. Doch unsere Hundedame zieht es vor, in Ruhe gelassen zu werden. Sie scheint auf ihre Weise die Stille der Natur zu genießen. Wir wissen nicht, was sie von all dem noch mit ihren Augen erfassen kann, aber sie schlendert mit uns gemächlich am Wiesenrain entlang, ohne uns zu drängen. Ich bin wirklich sehr glücklich, die „kleine Maus“ so entspannt, beinahe so wie in jüngeren Jahren, mit uns laufen zu sehen. Wir genießen zusammen den Moment, jeden Augenblick und keiner denkt heute darüber hinaus. Zu Hause pennt sie entspannt bis zur Abendmahlzeit. Vielleicht träumt sie schon von der nächsten Wanderung in die nahe Umgebung. Die startet eine Woche darauf. Wieder ist der Himmel azurblau und weiße Wolkentupfer ziehen dahin. Kurz vor der Autobahnauffahrt Quedlinburg stellen wir unser Fahrzeug auf einem Feldweg ab. Heute wollen wir ein Stück entlang der Piste entdecken, das uns von der Straße aus stets verborgen bleibt. Was werden wir dahinter sehen? Der Weg, mit zwei Fahrstreifen befestigt, führt leicht bergan durch die Felder einen Hügel hinauf und auf der anderen Seite durch dichten Strauchbewuchs wieder hinab. Da unten empfängt uns der Lärm des rasenden Verkehrs auf diesem Betonband, das an Quedlinburg vorbei nach Blankenburg und Wernigerode führt. Das Band durchschneidet die Landschaft und frisst sich an den Hügeln im Harzvorland entlang von Stadt zu Stadt. Vor uns überquert eine Brücke diesen „Lindwurm“ aus Beton. Dorthin lassen wir uns jetzt locken und Lily folgt brav. Heute allerdings etwas langsamer als gewohnt, aber immer noch auf gut beweglichen Pfoten. Wie macht sie das nur, denke ich, während sich meine linke Hüfte unverhofft meldet? Es ist, trotz des Verkehrslärmes, ein grandioser Anblick, den man von der Brücke über die Fahrbahn hinweg bis Blankenburg und darüber hinaus, bis zum Brocken, genießen kann. Unter unseren Füßen jagen sich im Sekundentakt die Fahrzeuge durch die Zeit, ohne auch nur ansatzweise etwas von dem Wunder der Natur mitzubekommen. Nur den Brocken hat man von da unten, wie ich aus der eigenen Erfahrung weiß, fast ständig fest im Blick, ohne ihm näher zu kommen. Der Gipfel lockt und entzieht sich sofort wieder. Das scheinbare Wachstum rollt auf singenden Rädern vorüber ins Nirgendwo, das wir Bruttosozialprodukt getauft haben. Das Leben allerdings braucht Gelassenheit und die findet jeder Mensch nur, wenn er sich, so wie Lily mit Frauchen und Herrchen, dem Zwang ganz bewusst entzieht. Welch wunderbare Fügung, denke ich mit dem Blick auf all die Hügelrundungen ringsum, dass uns der eigene Wille hierher verschlagen hat. Wir sitzen auf dem Brückenbeton, blinzeln durch die Gitter in die Natur und genießen alle drei das Privileg des weisen Alters. Ich liebe es und es macht mich glücklich, die kleine Hundelady völlig entspannt zwischen uns flanieren zu sehen und in den Gedanken zitieren die Erinnerung aus dem Faust von Goethe: „Werd’ ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch! Du bist so schön! Dann magst du mich in Fesseln schlagen, dann will ich gern zugrunde gehen.“ Vielleicht hat sich Goethe diese Gedanken hier im Harz eingefangen. Ich bin nicht sicher, aber möglich wäre es. Vor meiner Hundedame ziehe ich tief den Hut. Neunzig Jahre oder vielleicht sogar mehr, aber immer noch voll tierischer Lebensfreude und uns jeden Tag viel Freude und Glück schenkend. Danke, meine Süße, dass Du Deine Lebenszeit mit uns verbringst. Lily ist ein Geschenk und sie weiß es.