Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Ich bin der RockRentner im Harz
und berichte hier von meinen Entdeckungen, Wanderungen, Erlebnissen und Begegnungen im Harz.
Mit dem Fahrrad um die Fichte 04.09.2013 Die Wendemonate im Herbst 1989 haben mich gleich mehrfach auf dem linken Bein erwischt: Ich war zu gutgläubig, zu naiv sowieso und Auto fahren konnte ich auch (noch) nicht. Mein Schwiegervater war ein Aut-Narr mit einem alten Moskwitsch im Stall, den er jeden Samstagvormittag auf dem Hof putzte. Wozu hätte ich ein Auto kaufen sollen, wenn Manfred sich doch über jede Gelegenheit freute, die alte Russen-Kutsche in Bewegung setzen zu können? Ich hatte mit Anfang 20 meine Anmeldung für einen Trabbi abgegeben, die ich voraussichtlich schon 15 Jahre später gegen ein solches Gefährt würde eintauschen können. Ich vergaß den Trabbi und dass ich, um fahren zu können, noch Fleppen brauchen würde. Das Fahrrad blieb, neben der „Schwalbe“, mein bevorzugtes Gefährt, weil ich mir dieses aberwitzige Sparen auf eine Rennpappe nicht antun wollte, de facto auch nicht konnte. Dann kam das Jahr 1989 und die politische Wende. Plötzlich war ich dem Zwang ausgesetzt, selbst Auto fahren zu müssen, wenn ich im übergestülpten Sozialkapitalismus bestehen wollte und noch schlimmer, wir würden uns ein Auto für Westgeld kaufen müssen. Nun war das Fahrrad statt Auto in meinem Wortschatz gestrichen und später, nach einem Umzug, war der Drahtesel auch nicht mehr da. Die „blühenden Landschaften“ zogen ab sofort schnell an den Scheiben der Autos, die wir nacheinander hatten, vorüber und nur noch selten war ich seitdem zu Fuß in der Stadt oder deren Umgebung unterwegs. Selbst das Aufwachsen meiner Kinder bekam ich nur am Rande mit. Die mobile und moderne Dienstleistungsgesellschaft hatte mich vereinnahmt, was nichts anderes hieß, als nun endlich glücklich mit dem sein zu müssen, was ich eigentlich so gar nicht gewollt hatte - ein Auto. Des deutschen Bürgers Statussymbol stand, wenn auch widerwillig, nun auch bei mir. Erst auf dem Hof, später in der Garage. Jedoch die Moderne hat ihren Preis. Schreibtisch, Auto und Kunden sowieso lassen sich nur auf einen Sitzenden ein, der mit einer möglichst noblen Karosse vorfährt. Als über die Jahre schleichendes Übel hatte ich irgendwann, wie viele andere auch, Rücken und Bauch sowie beides in einen dunklen Anzug mit Schlips in weißen Kragen gepresst. Rücken und Bauch ignorierte ich, bis der Rücken streikte, die Waage grinste und die Angetraute kluge Worte der Weisheit aussprach: „Du musst dich bewegen!“ Na prima! Wenn jemand zu mir sagt „Du musst!“, lautet meine spontane und instinktive Schutzreaktion in aller Regel: NEIN! Dieses Nein heißt, ich möchte das nicht hören, obwohl ich weiß, dass es stimmt. Dieses Weglächeln hat eine ganze Weile funktioniert, doch seit einiger Zeit bin ich nun doch wieder stolzer Fahrradfahrer und das neue Gefährt, ein vorab Geschenk zu meinem Vorrentnergeburtstag, wartete voller Sehnsucht darauf, ausprobiert werden. Eine kleine Fahrradtour sollte es werden und Lily, unsere kleine Hunddame, sollte auch mit auf die Reise durch die Natur. Also überquerten zwei Fahrräder, mit einer Hundelady im Körbchen, zunächst die Bundesstraße 101, die Elsterwerda durchschneidet, und dann fuhren wir vorbei am Bergfriedhof direkt in die Felder. Hier, wo vor Jahrzehnten noch die alte Kiesgrube mit der Müllhalde stank, war ich schon lange nicht mehr. Inzwischen ist das riesige Loch zugeschüttet und darüber ein großer Hügel gewachsen, unter dessen Haut der ganze Dreck hoffentlich verkommt. Der breite Weg von damals ist heute eine schmale Spur durch die Felder und wenn ich mich umschaue, kann ich hinten am Feldrain Elsterwerda sehen. Lily läuft die ganze Zeit mit ihren vier kleinen Beinen zwischen und neben uns her. Erst jetzt bemerke ich, wie hier alles verwachsen ist, dass hier jetzt hohe Bäume, meist Birken, stehen und die nahe Bahnlinie nur zu hören, aber nicht mehr zu sehen ist. Auch an den versteckten kleinen See hier oben kann ich mich nicht mehr erinnern. Wir haben nur ein paar wenige Umdrehungen mit den Pedalen gemacht und schon stecke ich inmitten meiner Kindheit, denn hier oben sind wir damals herumgestromert, haben Feuer gemacht und darin die vom Feld geklauten Kartoffeln angeschmort und gegessen. Erkläre das mal heute einem Teenager. Der wird nach einer App für Kartoffelschmoren suchen und anschließend die Erdäpfel im lodernden Feuer verbrennen, weil er keine Zeit hat, in Ruhe zu genießen! Minuten später strampeln wir an der Bahnlinie entlang in Richtung Plessa. Lily sitzt jetzt wieder im Körbchen, denn es geht auf der Hauptstraße durch Kahla und dort auch wieder, an einer gefährlichen Kreuzung, über die Bundesstraße 101. Hinter dem kleinen Dorf befindet sich eine große Pferdekoppel und dann beginnen wieder die Felder. Es ist schon verdammt lange her, dass ich die Stadt aus dieser fernen Perspektive sah und wann ich das letzte Mal mit Pferden kommuniziert habe, weiß ich auch nicht mehr. Die kommen dicht an den Zaun und ich könnte sie anfassen, wenn ich mich trauen würde. Was für ein tolles Gefühl, das ich aus dieser Nähe schon eine Ewigkeit nicht mehr gefühlt habe. Dabei liegt das alles quasi vor meiner Haustür, aber natürlich fährt man im Außendienst und mit dem Auto nicht auf solchen Feldwegen entlang, obwohl hier die Landschaft schon immer blüht. Auch ohne Kohl! Wir radeln gemütlich den Holperweg weiter und querfeldein, links das Dorf, rechts die weiten Felder. Lily rennt wieder mit ihren kleinen Füßchen tapfer hinter uns her. Am Dorfrand quert ein Graben den Weg und wir machen, um die kleine Hundedame verschnaufen zu lassen, eine Pause. Wie Hunde das so machen, hängt auch bei ihr die Zunge weit heraus und sie hechelt sich Luft zu. In diesem Moment wird die verrückte Idee geboren, sie mit ihrem kleinen Hinterteil auf einen der Betonpfähle zu setzen, an denen die Feldbegrenzungen befestigt werden. Das komische Spiel scheint ihr nicht zu gefallen und so landet sie wieder im Körbchen. Mir würde es auch keinen Spaß machen, auf so einen Pfahl gesetzt zu werden. Also steigen wir wieder auf die Drahtesel und strampeln direkt bis zur „Schwarzen Elster“. Der Alte Feldweg, den wir fahren, führt von Kahla kommend bis zur „Weißen Scheune“ und dann quer durch die Felder weiter nach Gröden. Dabei wird die „Schwarze Elster“ überquert, die wieder friedlich und träge, als hätte es nie ein Hochwasser gegeben, durch die beschauliche Auenlandschaft des alten Urstromtales fließt. Wir stellen die Räder an einem Rastplatz nahe der Brücke über den Fluss ab, denn hier führt auch ein Radwanderweg auf dem Elsterdamm entlang. Vom Geländer aus beobachten wir zwei Angler, die zu beiden Seiten dort am Ufer sitzen, angeln und warten, dass irgendwann einmal so etwas wie ein Fisch den Haken schluckt, den sie immer wieder durch das Wasser ziehen. So etwas mag Entspannung pur sein, für einen wie mich, der ständig neue Ideen ausbrütet und voller innerer Unruhe steckt, wäre das nichts, obwohl … aber es muss ja nicht Angeln sein. Also schwingen wir uns wieder auf unsere Drahtesel und die Hundelady in ihr Körbchen. Der letzte Abschnitt führt uns durch Getreidefelder bis hin zur alten Mühle, die jetzt, weithin sichtbar, am Rande eines Gewerbegebietes steht, das zu meiner Heimatstadt gehört. An dieser schönen Stelle, an der auch der Radwanderweg vorbei führt, befindet sich ein Miniaturenpark mit einer Eisenbahnanlage in Miniformat, mit der einst ein Wirtschaftsförderer und Modelleisenbahner in Personalunion seine eigene Traumvisionen von Freizeitbastelgestaltung durch „Aufschwung Ost“ mit Fördergeldern in eine höhere Dimension zu befördern suchte. Der Wirtschaftsförderer ist inzwischen weg, seine Anlage aber quält sich über die Runden, seitdem keine Fördergelder mehr fließen. Wie im Großen, so wurde hier auch im Kleinen an den eigentlichen Bedürfnissen und Notwenigkeiten vorbei gehandelt. Sein Ego allerdings hat viel Gestaltungsraum bekommen. Leider auch so unglücklich, dass viele Radtouristen an dieser, mit viel Aufwand gepflegten und durchaus sehenswerten, Anlage mit ihren Rädern vorüber sausen, ihrem eigentlichen Zielort entgegen. Dies war meine erste längere Tour auf einem Fahrrad, seitdem ich Autofahrer wurde. Inzwischen habe ich Freude daran, auch meine Einkäufe wieder auf diese Weise zu erledigen und wer weiß, wohin mich die aufkommende Weisheit in Zukunft noch verleiten wird.