Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Ich bin der RockRentner im Harz
und berichte hier von meinen Entdeckungen, Wanderungen, Erlebnissen und Begegnungen im Harz.
Das Auge von Mühlberg 20.12.2013 Seit nunmehr über zwanzig Jahren bin ich im Außendienst unterwegs. Da lernt man eine Menge Leute kennen und kommt in Gegenden und Orte, an die man sonst nicht gedacht hätte. Meist aber fahre ich im näheren Umkreis über die Straßen und manchmal realisiert man so ganz nebenbei, wie sich einige Orte und manche Plätze Stück um Stück verändern. Ein solcher Ort befindet sich nahe dem kleinen Städtchen Mühlberg an der Elbe. Hier träumt einer der vergessenen Fleckchen von Brandenburg vom Rendezvous mit dem benachbarten Sachsen, doch die Elbe weiß den Traum, gemächlich fließend, zu verhindern. Das kleine beschauliche Städtchen an der Elbe hat ein Rathaus, eine Kneipe, einen kleinen Hafen und ein Strandhäuschen, das regelmäßig vom Hochwasser des Flusses vereinnahmt wird. Mit dieser Stadt verbinden mich eine Schulfreundschaft sowie eine Schülerkapelle. Das war in den späten 60er Jahren und schon damals galt Mühlberg, im damaligen Kreis Bad Liebenwerda, als sehr, sehr weit abgelegen. Mit dem Moped, eine Schwalbe, brauchte man eine knappe Stunde, um dorthin zu gelangen. Jahre später konnte ich diese Abgeschiedenheit als „Lehrling in der Kultur“ ebenfalls erkunden und kam mit einigen interessanten Leuten zusammen, die sich in Volkskunstgruppen engagierten. Es waren meine ersten Erfahrungen im Außendienst, die mir später zugute kamen. Ein wichtiger Höhepunkt dieser Aktivitäten, an denen ich teilhaben durfte, war eine Veranstaltung im Rahmen der Graun-Ehrung, die in der Klosterkirche Mühlberg stattfand. Das könnte ungefähr in den Jahren 1974/75 gewesen sein. Danach bin ich nur noch selten nach Mühlberg gekommen, denn meine Freunde lebten in alle vier Himmelsrichtungen vertreut. historische Ansichtskarte Erst nach 1989 - ich konnte endlich mit einem Auto umgehen - änderte sich das wieder, als ich durch meine Tätigkeit im Vertrieb Kundenkontakte nach Belgern und darüber hinaus bekam. Um die Kunden zu betreuen, musste ich mit der alten Fähre über die Elbe, wenn ich nicht die langen Umwege über Riesa, auf der einen Seite, oder nach Torgau, in der anderen Richtung, in Kauf nehmen wollte. Mit der Elbfährte von Mühlberg kam jedermann bequem mit seinem PKW auf die andere Elbseite. Das dauerte zwar eine Weile, aber das Warten hatte auch eine entspannende Seite. Danach konnte ich die Kunden Belgern oder Strehla besuchen und auf gleichem Wege wieder zurück gelangen. Eine Möglichkeit, die viele oft und gern genutzt haben. Diese Fähre hing an einem Gierseil und wurde, je nach dessen Einstellung, vom Druck des fließenden Wassers in Bewegung gesetzt und zum jeweils anderen Ufer getrieben. Das war ein ruhiger Vorgang, schon beinahe meditativ, der ganz ohne Hektik und Zeitdruck ablief. Man musste halt nur warten, bis ein paar Passagier für die Fähre da waren oder bis der Fährmann vom anderen Ufer herüber kam. Der Berufs- und Fernverkehr allerdings konnte diese simple Möglichkeit nicht nutzen. Der Wunsch und die Forderung nach einer Brücke über die Elbe stand zwar schon lange Zeit im Raum, aber die Elbestadt blieb noch viele Jahre ein abgelegener Fleck auf der Landkarte. Im Gespräch oder in den Medien war Mühlberg an der Elbe immer nur dann, wenn das Hochwasser des Flusses drohte, über die Dämme zu steigen und das Land zu überfluten. Seiher spricht der Volksmund auch vom „Wunder von Mühlberg“, denn die Stadt hatte in den vergangenen Jahren schon zwei Mal einem gefährlich hohen Wasserstand getrotzt. Seit dem 22. Dezember 2008 hat sich für Mühlberg vieles geändert. Vor fünf Jahren ging nunmehr ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung und ein Projekt, das über viele Jahre nicht realisierbar schien und von Kritikern und Befürwortern heiß diskutiert wurde, war endlich vollendet. An diesem Tag rollten die ersten Räder von Bandenburg nach Sachen über eine kühn geplante und schwungvoll gestaltete neue Brückenkonstruktion über den Fluss. Mehr als 20 Millionen Euro hat das Projekt, das direkt neben der ehemaligen Fähre im weiten Bogen die Elbe überspannt, an Baukosten verschlungen. Um dem sicher wiederkehrenden Hochwasser keine Angriffsfläche zu bieten, haben die Konstrukteure eine besondere Form der Pfeiler gewählt, die der Brücke ihr markantes und unverwechselbares Aussehen verleiht. Im Volksmund wird sie daher von Beginn an auch das „Auge von Mühlberg“ genannt. Man muss den Ort, wo einst die Fähre wechselte, aus früheren Jahren kennen oder wenigstens auch einmal zu Fuß bis zur Brücke gegangen sein und vor ihr gestanden haben, um die Veränderungen und den damit verbundenen Gewinn, wirklich wahrnehmen zu können. Denn optisch nimmt man dieses Bauwerk und die zuführenden Straßen indes wahr, als wäre es, trotz der Wucht und Größe, zart in die Landschaft hinein gegossen. Man muss auch nicht übertreiben, um das „Auge von Mühlberg“ schön zu nennen und von dessen Anblick begeistert zu sein. An einem schönen Herbsttag hat mich mein alter Blechfreund von Fiat noch einmal nach Mühlberg gefahren. Vom alten Schloss ist es ein angenehmer Spaziergang durch die bunte Blätterwelt des Herbstes am Wasser entlang bis vor zur Brücke. Von dort sieht man, wie sich die neue Umgehungsstraße bis zur Brücke in die Landschaft schmiegt, um dann in einem weit und elegant geschwungenen Bogen zum sächsischen Elbufer zu führen. Ein imposanter Anblick, dessen Faszination man sich nur schwer zu entziehen vermag. Seit fünf Jahren verbindet diese Brücke nun Brandenburg und Sachsen an einer Stelle, die früher das Ende fast aller Bewegungen bedeutete. Man fährt inzwischen schon beinahe ganz selbstverständlich von einem Elbufer zum anderen und der Einheimische freut sich natürlich, dass alles jetzt ganz schnell geht. Fremde, Durchreisende oder Touristen werden das gar nicht mehr so bewusst empfinden, denke ich, denn die Überquerung, ganz gleich, ob im Auto, mit dem Fahrrad oder zu Fuß, ist ein normaler Vorgang geworden. Nur Leute wie ich, die oft das Gefühl hatten, Mühlberg würde tatsächlich am Ende der Welt liegen, genießen es noch immer, über diese, an Jahren junge, Brücke zu fahren und mit einem Auge nach unten zu schielen, wo vor noch gar nicht so langer Zeit der Fährmann die einzige Verbindung aufrecht hielt. Die kleine Elbestadt liegt also nicht mehr „am Ende der Welt“, sondern ist durch das „Auge“ plötzlich mittendrin im Verkehr, auch wenn der jetzt schnell vorüber fährt. Eigentlich sollte man sich Geschichte ab und an bewusst machen und wenn man in dieser Gegend ist, um über die neue Brücke zu fahren, dann auch einen Moment an die Fähre und den Fährmann denken, die beide lange Zeiten verlässlich die Menschen zueinander führten. Auf der Fähre im Fluss gab es noch die Ruhe und genug Zeit, auch miteinander ins Gespräch zu kommen. So schön und überwältigend die Moderne auch sein mag, sie kann uns auch das Bewusstsein füreinander und die persönliche Kommunikation miteinander nehmen, wenn wir es denn zulassen. Das würden wohl weder Fährmann, noch die Erbauer des schönen „Auges von Mühlberg“ wollen. Dort, wo es sich machen lässt, sollte man einfach mal raus aus der Spur, runter an das Ufer und der Stille und dem Plätschern des Flusses nachlauschen, um dort mit der Familie, mit Freunden oder Fremden freundliche Worte zu wechseln, ehe die Fahrt zu anderen Ufern weiter gehen kann.